Hamburg muss eindeutige Regeln für Inklusion vorgeben

Der Streit über die Umsetzung der Inklusion an den Hamburger Grund- und Stadtteilschulen entwickelt sich zum Ärgernis. Schulsenator Ties Rabe hat zwar nun den notwendigen ersten Schritt getan, um aufzuklären, wie es zum sprunghaften Anstieg der Anzahl von Kindern mit Defiziten in den Bereichen Lernen, Sprache sowie soziale und emotionale Entwicklung (LSE) kommen konnte. Aber der SPD-Politiker verweigert den notwendigen zweiten Schritt: Er zieht keine Konsequenzen aus der Analyse.

Die Verdreifachung der Fallzahlen von LSE-Kindern innerhalb von wenigen Jahren wird kaum damit zu begründen sein, dass die nachwachsende Schülerschaft völlig anders sei als ihre Vorgänger. Sehr plausibel ist dagegen die Annahme, dass es früher ein Dunkelfeld durchaus problematischer und auffälliger Kinder gab, mit denen sich die Schulen „irgendwie“ auch deswegen arrangierten, weil sie vermeiden wollten, dass die Jungen und Mädchen in Sonderschulen abgeschoben wurden. In Zeiten der Inklusion, also des Rechts der Eltern, ihr förderbedürftiges Kind auf einer Regelschule anzumelden, entfällt diese pädagogische Rücksichtnahme.

Möglich wird die schnellere Klassifizierung sonderpädagogischer Förderbedürftigkeit aus zwei Gründen: Erstens ist das Verfahren entbürokratisiert. Die Entscheidung fällt an der Stadtteil- oder Grundschule auf der Basis eines Förderplans für das Kind, ohne ausführliches Gutachten der Sonderschule wie früher. Zweitens sind die Kriterien für die Entscheidung, ob ein Kind zum Beispiel gravierende Lern- oder Sprachdefizite aufweist, nicht verbindlich festgelegt. An der einen Schule mag ein Junge als lernschwach und insofern sonderpädagogisch förderbedürftig gelten, an der anderen erhält er nur Nachhilfe.

Nicht nur für die Schulen, auch politisch ist das ein nicht hinnehmbarer Zustand. Der Schulsenator muss mit Experten dringend klare Kriterien für die Diagnose sonderpädagogischer Förderbedürftigkeit festlegen. Hier darf es keine Grauzone geben. Und am besten und gerechtesten wäre es, wenn die pauschale Zuweisung von Förderstunden auf der Basis des Sozialindexes durch die Förderung des Einzelfalls ersetzt würde.