Der Umsturz in Tunesien erfordert vom Westen neue Politik.

Der halsstarrige tunesische Autokrat Ben Ali hat sich ins saudi-arabische Exil gerettet. In seiner Heimat und in den arabischen Nachbarstaaten träumen die Menschen von Freiheit, Demokratie und einem besseren Leben. In Tunesien hat eine neue Zeit begonnen. Allerdings ist noch völlig unklar, was sie dem Land, seinen Menschen, der Region und Europa bringen wird.

Denn der Sturz des Diktators war allenfalls ein erster kleiner Schritt. Seine Gefolgsleute befinden sich nach wie vor im Land und an den Schalthebeln der Macht. Oppositionelle sind seit Jahren im Ausland oder hatten zu Hause kaum Gelegenheit, sich zu organisieren. Eine breite bürgerliche Schicht, die Träger eines stabilen demokratischen Aufbruchs sein könnte, ist nicht vorhanden. Die tief wurzelnde Korruption und die verbreitete Vetternwirtschaft werden nicht über Nacht und von allein verschwinden.

Dennoch ist die Lage zwar schwierig, aber nicht aussichtslos. Wer auch immer in Tunis regiert, muss größtes Interesse an stabilen Verhältnissen haben, weil sonst der wichtigste Wirtschaftszweig, der Tourismus, zusammenbricht. Und anders als in vielen anderen Staaten der Region wird der Protest nicht von religiösen Fanatikern befeuert oder gar angeführt. Zumindest noch nicht. Tunesien steht vor der Chance, sich als erstes arabisches Land zu demokratisieren. Direkt vor unserer Haustür.

Und Europa muss größtes Interesse daran haben, dass dieses Experiment gelingt und zum Vorbild für die Nachbarn wird. Denn scheitern die Menschen in Tunesien oder versinkt das Land im Chaos und reißt seine Nachbarn vielleicht mit in einen Strudel der Gewalt, steht auch für uns viel auf dem Spiel: Gas- und Ölpipelines, gigantische Solarprojekte in der Sahara, die Kontrolle der Flüchtlingsströme aus Schwarzafrika und dem Maghreb selbst. Radikale Islamisten könnten die Situation nutzen und ihre Quartiere quasi vor den Toren der westlichen Welt aufschlagen. Bisher war es für den Westen relativ einfach, mit den Herrschern der Region Verträge zu schließen. Seien diese auch noch so fragwürdiger Herkunft - es gab halt keine anderen. Doch die Sicherheit und Stabilität, die die Diktatoren der Region angeblich garantierten, hat sich als äußert brüchig erwiesen. Nun gilt es, Demokratie und die eigenen Werte wesentlich entschiedener zu vertreten. "Augen zu und durch" kann nicht mehr die einzige Devise im Umgang mit arabischen Despoten sein.