Hamburg. Mit gleich mehreren Premieren ist das Reeperbahnfestival gestartet. Besonders laut umjubelt wurde die Uraufführung des “Ballet Jeunesse“ - das Projekt hatte sieben Jahre bis zur Vollendung gedauert.

Er hoffe, nicht von der Bühne geprügelt und ausgebuht zu werden, hatte Matthias Arfmann noch vor der Uraufführung seines "Ballet Jeunesse" gescherzt.

Nicht ganz unbegründet: Denn was der Hamburger Hip-Hop-Produzent, sonst für seine Arbeit mit den Beginnern und Jan Delay bekannt, am Eröffnungsabend des 11. Reeperbahnfestivals bot, war auch ein Experiment. Gemeinsam mit einem künstlerischen Kollektiv und den Hamburger Symphonikern stellte er sein aktuelles Album vor, für das er seine Lieblingswerke der Ballettmusik gekürzt, gesampelt, umgeschrieben und neu eingespielt hat.

Immer wieder wurde der 52-Jährige dazu von Klassik-Puristen gefragt: "Darf man das den klassischen Stücken überhaupt antun?" Und immer wieder hatte Arfmann diese Frage bejaht. Dass er sich für die Premiere mit großem Klangkörper am Mittwochabend im Schmidts Tivoli ausgerechnet Europas größtes Clubfestival ausgesucht hat, in dem die Klassik bisher bestenfalls eine Randerscheinung war, ist eine schöne Erweiterung des Genre-Portfolios der Reeperbahn-Sause.

Die ersten drei Minuten des Konzerts gehören dennoch den synthetischen Beats aus dem Synthesizer von Arfmann, der sich am äußeren rechten Rand der Bühne platziert hat. Während die von ihm produzierten Klänge durch das Theater hallen, nehmen die 68 Orchester-Musiker nach und nach bei ihren Instrumenten Platz. Selbst die Fläche vor der Bühne wird genutzt, um die vielen Menschen unterzubringen.

Die Streicher setzen ein, die bekannte Melodie von "Der Nussknacker" ertönt, und wenig später vermischt sich die Orchester-Musik mit groovenden Reggae-Klängen. Alles mutet erfrischend anders an. Und es hat durchaus Unterhaltungsfaktor, dem mit zerzaustem Haar dekorierten Dirigenten Bernd Ruf bei seinen energetischen Gebärden mit dem Taktstock zuzusehen. Den Spaß merkt man ihm an, Berührungsängste hat der Crossover-Spezialist offensichtlich keine.

Neben Arfmann hat sich die in Hamburg lebende Künstlerin Onejiru platziert, die ihren selbstgeschriebenen Text zu dem klassisch-elektronischen Soundgemisch singt. "Wir haben sieben Jahre auf diesen Abend hingearbeitet", meint die Sängerin und erntet Applaus. Es hat auch deshalb so lange gedauert, weil Arfmann bei den Erben der Komponisten die Rechte anfragen musste, um seine Neuinterpretationen der Stücke veröffentlichen zu dürfen.

Er ist der Erste, der überhaupt die Genehmigung erhalten hat, "Romeo und Julia" des Russen Sergej Prokofjew auf diese Art zu verjüngen. "Pump Up The Volume", singt Onejiru dazu. Sie spielen auch noch "Carmen", "Der Feuervogel" und den "Säbeltanz". Für letzteres Stück bittet Arfmann Theaterregisseur, Clubbetreiber und Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun als Vokalisten auf die Bühne. Seine Punkwurzeln kann dieser auch beim "Ballet Jeunesse" nicht verleugnen, aber das gibt dem Konzert noch mal eine andere Nuance.

Kurz vor der Zugabe sieht man zum mit wummernden Discobeats aufgemotzten Stück "Je rêve" die berühmten Ballett-Zwillinge Jiri und Otto Bubenicek über die Leinwand tanzen. Am Ende gibt es statt Prügel und Buhrufen riesigen Jubel für alle Beteiligten, die sich dann auch brav verbeugen. Etwas wilder dürfte es noch bis Samstag beim Reeperbahnfestival zugehen. 40 000 Besucher werden erwartet, wenn in mehr als 70 Clubs, Bars und Kneipen 460 Künstler aus 40 Nationen aufspielen werden.

Und noch eine weitere Premiere gab es. Zum Start in die elfte Runde des Festivals stellten die Veranstalter eine neue Auszeichnung für Talente der internationalen Musikszene vor: den Anchor Award. Acht Nominierte aus sechs Ländern treten im Wettbewerb an, eine Jury kürt den Gewinner. Der Preis soll nicht nur der Musikwirtschaft eine Orientierungshilfe bieten, sondern auch den Fans, wie Festival-Chef Alex Schulz sagte. Jury-Mitglied und Produzenten-Legende Tony Visconti, der für zahlreiche David-Bowie-Alben mitverantwortlich ist, kündigte an: "Ich suche nach dem Wow-Effekt".