Hamburg. Mit ihrem “Alice Practice“ schlugen sie einst ein wie eine Bombe. Doch 2014 gingen Crystal Castles getrennte Wege. Nun gibt es eine neue Platte. Die Raserei ist geblieben - doch nichts ist, wie es war.

Es schien kaum mehr möglich, dass es überhaupt ein neues Album der Hardcore-Elektroniker von Crystal Castles geben könnte. Als die eindrucksvolle Frontfrau Alice Glass nach mehr als zehn gemeinsamen Jahren ihrem Partner Ethan Kath den Rücken kehrte, twitterte sie im Herbst 2014 vom "Ende der Band". Sie sprach von "persönlichen und professionellen" Gründen für die Trennung.

Nach ihrer Alben-Trilogie "Crystal Castles I-III" mit meisterhaften Electro-Stücken wie "Alice Practice", "Crimewave", "Celestica" oder "Insulin" steht ab Freitag (19. August) mit "Amnesty (I)" nun die vierte Crystal-Castles-Platte in den Läden. Allerdings hat sich Kath wegen des großen Zerwürfnisses eine neue Partnerin für seinen Mix aus Thrash Electro, Darkwave und Nintendocore geholt. Es soll eine neue Ära beginnen: siehe Alben-Nummerierung.

Steht die Frage im Raum: Wie wird sich Edith Frances machen? Insbesondere wenn man bedenkt, mit welcher Zuneigung ihre Vorgängerin vom Publikum stets bedacht wurde - wegen ihrer Manie, ihres Chaos, ihrer Raserei. Doch als die frisch formierten Kanadier ihre erste Single "Frail" mit neuer Stimme in die sozialen Netzwerke schleuderten, war bereits klar: Das wird ein nahtloser Übergang.

"Amnesty" beginnt mit Frances' hypnotischem Sirenengesang im sphärischen Opener "Femen" (der an das großartige "Tell Me What To Swallow" vom Debütalbum erinnert). Das folgende "Fleece" steht exemplarisch für "Amnesty": Durch den Song wie die gesamte Platte zieht ein Gemisch aus himmlisch-wildem Trance, in den immer wieder Scherben aus verzerrtem, atemlosem Punk-Rave hineinritzen.

Stampfenden Industrial Dance gibt es im fulminanten "Enth", und zu "Concrete" kann man sich jetzt schon die schwitzenden Massen vorstellen, wenn Crystal Castles Ende Oktober für Auftritte nach Deutschland kommen. Nachdem sich Frances bereits auf der Platte als furchtlose Erbin zeigt, gilt es dann, auch die großen Live-Fußstapfen ihrer Vorgängerin auszufüllen.

Und Alice Glass? Die bastelt mittlerweile an ihrem Solo-Debüt. Ihre Single "Stillbirth" ist schon länger draußen - mehr Metal als Electro. Ein Album soll noch in diesem Jahr fertig werden. "Dieses Projekt hat größere Bedeutung für mich, als alles, was ich je gemacht habe", sagte sie kürzlich in einem Interview. Bleibt abzuwarten, wohin sich ihr Stil entwickeln wird. Crystal Castles jedenfalls schauen der Zukunft entgegen. Und liefern ganz nebenbei den Soundtrack für das zerklüftete Chaos der Gegenwart.