Hamburgs Song-Pionier Bernd Begemann wird morgen 50 Jahre alt, die Party dazu steigt heute im Knust. Blick zurück zu den Anfängen.

Bernd Begemann kommt mit etwas Verspätung zum Interview ins Café Funk-Eck an der Rothenbaumchaussee. Er bestellt ein Stück gedeckten Apfelkuchen und einen Kaffee. Der Reporter und der Musiker, der morgen 50 wird, kennen sich aus fernen Jugendtagen. Deshalb das vertrauliche Du.

Hamburger Abendblatt: Wir sind ein Jahrgang ...

Bernd Begemann: Du hast deine Figur allerdings besser gehalten als ich.

Danke. Aber was ist mit dir passiert? Zu viel gedeckter Apfelkuchen?

Begemann: Wenn es nur Apfelkuchen wäre. Auf Tour sind fettige Mittagstische manchmal der einzige Trost. Nahrungsaufnahme ist dann auch eine Art von Mimikry: Damit ich mich in feindseligen Orten in Süddeutschland oder der österreichischen Provinz eins fühlen kann mit den Menschen um mich herum, widme ich mich intensiv den lokalen Spezialitäten. Ich glaube dann mit dem Ort zu verschmelzen. Ich weiß, dies ist ein Irrglaube. Tatsächlich verschmilzt etwas ganz anderes - und auch nicht mit dem Ort, sondern mit mir.

Touren nach Baden müssten für dich besonders gewinnbringend sein. Dort gibt es die beste deutsche Küche.

Begemann: Generell ist die süddeutsche Küche gut, wobei ich von kulinarischen Dingen wenig Ahnung habe. Ich halte die grassierende Koch-Hysterie für schädlich. Wenn ich den Fernseher einschalte, gibt es da mit Alice Schwarzer eine Feministin und mit Wladimir Kaminer einen Russen. Aber es gibt 50 Köche. Warum? Ich möchte lieber noch eine Feministin oder einen Russen haben.

Als du noch jung und schlank warst, galtest du als einer der schönsten Männer Hamburgs. Das Foto auf dem Cover deiner neuen Best-of-CD "Der brennende Junge" stammt aus dieser Zeit.

Begemann: Och, es gibt viele Frauen, die es zu schätzen wissen, wenn eben gerade kein spinnenbeiniger "Men's Health"-Abonnent auf ihnen rumkrabbelt, der versucht, alles richtig zu machen. Aber wenn wir über alte Fotos sprechen: Im Booklet zu der limitierten Luxusausgabe von "Der brennende Junge" ist ein Foto von mir, das mal in "Playgirl" war. (Zeigt ein Bild, auf dem er auf einem Bett liegend nur einen offenen Morgenmantel trägt, der einen Blick auf seine Brusthaare gewährt.)

Wenn man das Booklet durchblättert und sieht, was du alles schon so gemacht hast, wird einem klar, dass du fast der Einzige aus der Hamburger Independentszene der 80er bist, der noch dabei ist. Bist du konsequenter als andere?

Begemann: Ich habe nie so erfolgsorientiert Musik gemacht. Mir ist unbegreiflich, wie man mit dem Gedanken ans Werk gehen kann, "Wie befriedige ich heute meine Zielgruppe?" Mich treibt an, ein Lied zu schreiben, das genau auf den Punkt bringt, wie ich in diesem einen Augenblick gerade bin. Oder wie sich eine bestimmte Situation gerade anfühlt. Wenn ich das nicht tue, wird sich dieser Augenblick irgendwann von hinten anschleichen und mich fertigmachen. Ich muss das also hinkriegen. Und weil ich nie einen Hit hatte, kann man mich auch keiner bestimmten Zeit zurechnen. Wenn überhaupt den 80er-Jahren, aber auch das haut nicht hin.

Warum bist du 1982 von Bad Salzuflen gerade nach Hamburg gezogen?

Begemann: Ich wollte eine Band finden und schaute mir deshalb sehr systematisch alle deutschen Städte an. In Hamburg hat es mich dann in die Jugendherberge am Stintfang verschlagen. Und das ist wirklich eine der schönsten deutschen Jugendherbergen. Die in Berlin ist weniger empfehlenswert.

Wegen der Jugendherberge am Stintfang hast du dich für Hamburg entschieden?

Begemann: Ich bin vier Tage durch Hamburg getigert, und es war einfach die beste Stadt. Berlin wälzte sich damals in der eigenen Dekadenz, so nach dem Motto: "Wir sind so geil, wir sind so kaputt." Das ist eine Einstellung, die ich nicht mag. Hamburg hatte etwas Gesundes, etwas Konstruktives. Ich finde, das ist ein bisschen immer noch so. Berlin empfängt dich scheinbar mit offenen Armen: "Oh, toll, dass du kommst. Mach doch dein Ding." Aber dann interessieren sie sich einen Scheiß dafür. Hamburg empfängt dich nicht mit offenen Armen. Hier sagen die Leute: "Gut, du denkst, du bringst es? Das glauben wir dir aber erst mal nicht." Und dann muss man abliefern.

Du kanntest hier niemanden?

Begemann: Nö, aber ich bin Einzelkind. Mir macht es nichts aus, allein zu sein.

Und dann bist du in die damals angesagten Klubs gegangen.

Begemann: Ja, ins Subito, ins Kir und ins Luxor. Da standen Leute wie Albert Oehlen und Rainald Goetz am Tresen. Es gab damals so wenig Klubs ...

Warum ist deine Platte erst fünf Jahre später, also 1987, erschienen?

Begemann: Ich war einfach noch nicht so weit. Auch 1987 hatte ich meine Fähigkeiten noch nicht voll entwickelt. Meine Stimme gefällt mir erst seit der sechsten CD. Wenn Leute auf Deutsch Rock singen, singen sie meistens so wie Rio Reiser. Udo Lindenberg macht das ebenso wie Niels Frevert. Dabei geht es nicht darum, wie laut und sicher sie singen, sondern um die Phrasierung. Das soll auf eine aufregende Art kaputt klingen (Er krächzt) : "Ich bin so ein geiler, kaputter Typ, yeah; ihr kriegt mich nicht klein, yeah." Für das, was ich ausdrücken wollte, passte das nicht. Ich brauchte etwas Klareres, was aber nicht poliert ist. Ich brauchte eine neue Phrasierung. Und die musste ich erst erfinden. Es dauerte bis zur 1996 erschienenen Platte "Jetzt bist du in Talkshows", bis ich sie gefunden hatte.

Und davor? Das war alles nichts?

Begemann: Davor habe ich interessante Aufnahmen gemacht. "Rezession, Baby" war stilistisch ein Durchbruch. Nenn mir eine deutschsprachige urbane Folk-Platte mit Elektronikelementen, die vor "Rezession, Baby" erschienen ist. Die gab es nicht. Das ist ein Genre, das ich erfunden habe. Heute klingen 70 Prozent aller Indie-Platten so.

Du hast deinen gedeckten Apfelkuchen noch nicht angerührt.

Begemann: Weil ich mich schäme. Jetzt hast du es geschafft.

"50 Jahre Bernd Begemann", heute 21.00 Knust (U Feldstraße), Karten zu 15,- an der Abendkasse