Der BAP-Sänger Wolfgang Niedecken hat eine erfolgreiche Autobiografie geschrieben. Am Freitag liest er im Thalia-Theater daraus.

Hamburg. Mit seiner Band BAP und Rocksongs auf Kölsch brachte Wolfgang Niedecken Anfang der 80er-Jahre Köln auf die Landkarte der populären Musik. Vor einem Jahr erlitt der 61-Jährige einen Schlaganfall, von dem er sich vollständig wieder erholt hat. Am Freitag gibt er eine musikalische Lesung seiner Autobiografie "Für 'ne Moment" im Thalia-Theater.

Hamburger Abendblatt: Ihre Autobiografie "Für 'ne Moment" umfasst mehr als 500 Seiten. Wie sind Sie diese detaillierte Erinnerungsarbeit angegangen?

Wolfgang Niedecken: Es ist ja eine subjektive Wahrnehmung. Das Buch liest sich mehr wie ein Roman, weil es zeitlich hin und her springt und nicht nur die Erfolge auflistet. Ich habe mich an den Bildern orientiert, die ich gemalt habe, an den Platten und den Tourneen von BAP. Das war wie eine Strickleiter, an der ich mich entlanghangeln konnte.

Haben Sie eine Erklärung für den Erfolg von BAP mit Songs, die außerhalb von Köln niemand verstehen konnte?

Niedecken: Wir waren dieses Unikat, das man sofort erkennen konnte. Wir sind auf keiner Welle mitgeschwommen. Zu dem Zeitpunkt unseres Durchbruchs, also 1982, lief die Neue Deutsche Welle. Damit hatten wir nichts zu tun, aber die Aufmerksamkeit gegenüber deutscher Musik war da. Wir waren eine stinknormale Rock-'n'-Roll-Garagenband.

Haben Sie Ihre Songs auf Kölsch geschrieben, weil Sie nach Ende der Nazizeit ein Misstrauen gegenüber der deutschen Sprache hatten?

Niedecken: Überhaupt nicht. Das passierte instinktiv. Ich konnte meine Gefühle besser in meiner Muttersprache ausdrücken. Wir haben zu Hause nur Kölsch gesprochen.

Sie sind der Bandleader von BAP. In Ihrer Autobiografie gibt es viele Passagen, in denen Sie beschreiben, wie unglücklich Sie mit Entwicklungen in der Band waren. Hätten Sie nicht etwas mehr als Diktator auftreten können?

Niedecken: Ich wollte nie Chef sein. Das ist mir immer noch unangenehm. Aber wenn ich die Band als ihr Sprecher zu promoten hatte, habe ich meinen Job gemacht. Ich habe damals Platten promotet, hinter denen ich nicht stand. Das macht keinen Spaß. Das Album "Ahl Männer, aalglatt" zum Beispiel fand ich zum Kotzen. Die Wende kam nach meinem Soloalbum ,,Leopardefell".

Sie sind als Musiker berühmt geworden, aber angefangen haben Sie als Maler. Ist der bildende Künstler in Ihnen ausreichend zum Zuge gekommen?

Niedecken: Nicht unbedingt. Irgendwann muss man sich entscheiden. Nach der letzten großen Umbesetzung bei BAP war mir klar, dass ich so schnell nicht mehr in mein Atelier komme. Ich habe so viel um die Ohren, dass ich von meiner Familie die dunkelgelbe Karte bekommen würde, wenn ich auch zu Hause noch stundenlang in mein Ate lier gehen würde, um zu malen.

Sie sagen, dass Sie in Ihren Songs "Köln ohne Narrenkappe" zeigen wollen. Wie ist Ihr Verhältnis zum Karneval?

Niedecken: Mittlerweile ganz entspannt. Im Kölner Karneval ist viel passiert. Ich habe im vorletzten Jahr für den Rosenmontagszug sogar zwei Mottowagen entworfen: einen zum Thema Kindersoldaten, den anderen zum Thema Korruption in Afrika. Wenn ich merke, da passiert was Neues, muss ich mich nicht stur stellen.

Seit einigen Jahren engagieren Sie sich für Hilfsprojekte in Afrika. Wie kam es dazu?

Niedecken: Ich hatte quasi einen Auftrag von meinen Töchtern Isis und Jojo. Als die 2003 im Fernsehen die Bombenangriffe auf Bagdad gesehen haben, fragten sie abends: "Papa, werfen die wirklich Bomben auf Häuser, wo Kinder drin wohnen?" Es fiel mir schwer, ihnen die Kompliziertheit des Konflikts zu erklären, weil sie noch klein waren. Aber sie gaben sich nicht zufrieden und sagten: "Das muss denen doch einer mal sagen, dass das nicht geht. Mach du das doch, du kennst doch so viele." Als ich dann 2004 gefragt wurde, ob ich Sonderbotschafter der Hilfsaktion "Gemeinsam für Afrika" werden möchte, sagte ich sofort zu.

Worin besteht Ihr Engagement?

Niedecken: Ich habe mit dem Unternehmer Manfred Hell das Projekt "Rebound" gegründet, das sich um frühere Kindersoldaten in Uganda kümmert und sie wieder in die Gesellschaft integrieren will. Solche Themen sind hier schwer zu vermitteln. Wenn es um Kindersoldaten oder Zwangsprostitution im Fernsehen geht, wird weggezappt. Ich habe mich in dieses Thema verbissen. Ich kann nicht mehr in den Spiegel gucken, wenn ich für diese Kinder nicht alles tue, was in meiner Macht steht.

In "Für 'ne Moment" taucht der Begriff "Rock als Lebensrettungsgeschichte" auf. Hat der für Sie nach Ihrem Schlaganfall eine neue Bedeutung?

Niedecken: Wim Wenders hat das damals gesagt. Meine ganze Sozialisation hätte nicht ohne die Rolling Stones stattgefunden. Nach meinen Erfahrungen im Internat und mit verknöcherten Lehrern habe die Stones mir gezeigt, wo es langgeht. Die Lehrer konnten mich nicht mehr greifen, ich war weggeflutscht. Nach dem Schlaganfall wollte ich mit der letzten BAP-Tour beweisen, dass alles wieder gut wird.

Sie beschreiben in Ihrem Buch viele Glücksmomente, zum Beispiel die Begegnungen mit Bruce Springsteen und Bob Dylan. Was macht Sie heute glücklich?

Niedecken: Es sind mehr die privaten Momente als vierfacher Familienvater. Ich bin glücklich, wenn es läuft. Ich werde mehr in Ruhe gelassen, seit ich 60 bin. Früher haben wir bei jedem Album von irgendeinem Kritiker immer mindestens eine Blutgrätsche bekommen. Das ist jetzt vorbei. Ich falle jetzt in die Kategorie "der Unbeirrbare". Das gefällt mir gut.

Werden Sie bei Ihrer Lesung im Thalia-Theater auch Ihre Gitarre dabeihaben?

Niedecken: Auf jeden Fall. Ich werde auch singen, denn mit dem Lesen ist das so eine Sache. Wenn ich meinen Kindern vorgelesen habe, war ich immer der Erste, der gegähnt hat. Deshalb sind diese Lesungen wie eine lange Ansage zu einem Song. Meine Tochter Isis war mit bei einer der ersten Lesungen in Köln. Hinterher sagte sie: "Papa, du glaubst gar nicht, wie müde ich geworden bin. Sobald du vorliest, werde ich müde." Ich hoffe, dass es nicht allen Zuhörern so geht.

Wolfgang Niedecken Fr 26.10., 20.00, Thalia-Theater, Alstertor, Karten 6 bis 27 Euro; thalia-theater.de

"Für 'ne Moment" Hoffmann und Campe, 528 Seiten, 24 Euro