Reformer, Arzt, Vertrauter der dänischen Königin: Das unglaubliche Leben und Sterben des Johann Friedrich Struensee kommt heute ins Kino.

Am Ende seines Lebens versteht Johann Friedrich Struensee die Welt nicht mehr. "Ich bin einer von euch!", ruft er den Kopenhagenern verzweifelt zu. Aber die sehen das anders. Etwa 30 000 Schaulustige sind gekommen, um die letzten Minuten des berühmt-berüchtigten Mannes zu sehen, der als Bürgerlicher wie ein König regierte. Es ist der 28. April 1772. Struensee ist noch nicht einmal 35 Jahre alt, als er hingerichtet wird. Sein Ende ist so schrecklich wie sein Lebensweg ungewöhnlich.

Heute, 240 Jahre nach seinem Tod, steht der Arzt aus Altona überraschend an der Spitze der dänischen Kino-Charts - als Protagonist des Dramas "Die Königin und der Leibarzt" von Nikolaj Arcel.

Der Stoff seines Lebens liefert reichlich Material: Struensee durchlief im 18. Jahrhundert eine abenteuerliche Karriere als Mediziner und Reformer, als Freund des dänischen Königs und als Liebhaber von dessen Frau; dann aber wurde er Opfer seiner eigenen ehrgeizigen Reformwut, die ihrer Zeit einfach weit voraus war. In Dänemark haben 317 000 Zuschauer den Film in den ersten zweieinhalb Wochen schon gesehen, für das kleine Land ein ganz starker Start. Der Star Mads Mikkelsen in der Hauptrolle und das spektakuläre Kapitel deutsch-dänischer Geschichte über einen Mann, der zur Unzeit in die Königin und in die Aufklärung verliebt war, verweisen sogar internationale Großproduktionen wie "Battleship", "Die Tribute von Panem" oder "Titanic 3D" auf die Plätze.

Dem Namen Struensee begegnen Hamburger heute noch in Altona. Es gibt dort - wie in Kopenhagen - eine Struenseestraße, außerdem das Struensee-Haus, ein Ärztezentrum in der Mörkenstraße. Am Haus der Patriotischen Gesellschaft wurde eine Gedenktafel für ihn angebracht. Heute sind viele der historischen Struensee-Orte in Hamburg, wie sein Wohnhaus, längst abgerissen. Michael Grill hat jedoch den Weg Struensees durch die Stadt aufgearbeitet und bietet Spaziergänge mit Kurzvorträgen zu dem Thema an.

Wer war dieser Struensee, der heute so das Kinopublikum mobilisiert? Der Sohn eines pietistischen Pfarrers wird 1737 in Halle geboren. Er gilt als hochbegabt und beginnt schon mit 14 Jahren sein Medizinstudium, das er mit 19 Jahren abschließt. Als sein Vater 1757 als Pastor nach Altona berufen wird, folgt er ihm.

+++ "Struensee ist für uns ein Held der Aufklärung" +++

Als Landarzt von Altona, Pinneberg und der Grafschaft Rantzau erkennt er Zusammenhänge zwischen Krankheit und sozialen Problemen, kümmert sich um Arme und Waisen und verbessert die Krankenpflege. Er bekämpft das Fleckfieber, beschreibt als Erster die Maul- und Klauenseuche, gilt als Pionier der Pockenimpfung und lässt eine Hebammenanstalt in Altona bauen. "Was mich beeindruckte, war seine Menschlichkeit, sein Mitgefühl mit allen Leidenden, sein leidenschaftliches Eintreten für Benachteiligte, Ausgestoßene, Aufgegebene - kurz seine Humanität und seine Toleranz", schreibt der Mediziner Stefan Winkle, der im 20. Jahrhundert die medizinischen Leistungen Struensees erforschte.

Schon in seiner Altonaer Zeit interessiert sich Struensee, vielleicht eine Folge der strengen Erziehung, für Schriften von Rousseau und Voltaire über die Freiheit des Menschen und diskutiert darüber mit seinem Kollegen Hartog Gerson und mit Gotthold Ephraim Lessing.

Die Filmhandlung setzt später ein, bei einer arrangierten Hochzeit: Das dänische und das englische Königshaus einigen sich darauf, dass Christian VII. und Prinzessin Caroline Mathilde aus Gründen der Staatsräson ein Paar werden. Die Trauung läuft ohne die Brautleute ab, die sich noch nicht gesehen haben. Für den dänischen König unterschreibt in London der Herzog von York stellvertretend die Heiratsurkunde. Die erst 15 Jahre alte Caroline, Schwester des englischen Königs Georg III., wird in Altona dem dänischen Hof übergeben. Der heutige Hamburger Stadtteil gehörte damals noch zum dänischen Holstein und war mit 20 000 Einwohnern nach Kopenhagen die zweitgrößte Stadt der Monarchie. Als Vorbereitung auf ihre neue Aufgabe hatte die zukünftige Königin begonnen, Deutsch zu lernen, neben Französisch die zweite Sprache bei Hofe. Dänisch sprach eigentlich nur das Volk.

Christian war an seiner jungen Frau denkbar uninteressiert. Trotzdem erfüllten Caroline Mathilde und ihr zwei Jahre älterer Ehemann ihre Aufgabe und präsentierten zwei Jahre später einen Thronfolger. Anschließend ging Christian erst einmal auf Europareise. Die führte wieder nach Paris und London, aber auch über Altona.

Gefährliche Liebschaft

Physikus Struensee konnte gut mit dem launigen, verhaltensauffälligen und an epileptischen Anfällen leidenden Monarchen umgehen, der manchmal Mobiliar demolierte oder unmotiviert in hysterische Lachanfälle ausbrach. Der König bat Struensee, ihn zu begleiten. Und nach der Reise machte er ihn in Kopenhagen sowohl zum "Königlichen Vorleser" als auch zum Leibarzt am Hof. Das war vorher schon Struensees Großvater gewesen.

Christian hatte kein Faible für Regierungsgeschäfte. Lieber zog er nachts mit seiner Mätresse, der berüchtigten "Stiefeletten-Catherine", um die Häuser. Struensee nutzte das Desinteresse des Königs: Er kümmerte sich immer mehr um politische Angelegenheiten. Christian löste den Staatsrat auf, machte seinen Arzt schließlich sogar zum Geheimen Kabinettsminister mit Generalvollmacht. Struensee, erfüllt vom Geist der Aufklärung, brachte zahlreiche Reformen auf den Weg. Er führte die Pressefreiheit ein, schaffte die Folter ab, ebenso die Leibeigenschaft der Bauern und die Strafe für uneheliche Geburten. All das friedlich und 17 Jahre vor der Französischen Revolution.

Aber Menschen, die ihrer Zeit voraus sind, leben gefährlich. Struensee begann ein Verhältnis mit Caroline Mathilde, das allerdings vom König womöglich geduldet wurde. Der Mediziner gilt auch als Vater der 1771 geborenen Tochter Louise Auguste.

Das Volk fand das alles skandalös. Christians Stiefmutter Juliane Marie stand an der Spitze einer Gruppe am Hof, die Struensee um seine Macht beneidete. Sie streuten Gerüchte, der Leibarzt und Caroline wollten Christian stürzen oder gar vergiften. Entsprechende Flugblätter wurden in der Stadt verteilt und schürten den Volkszorn. Die von ihm selbst eingeführte Pressefreiheit wurde Struensee jetzt zum Verhängnis. Adel, Klerus und Militär brachte er gegen sich auf, weil er ihre Rechte beschnitten hatte. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ließ Juliane Marie den König Haftbefehle gegen seinen Leibarzt unterschreiben. Der Vorwurf: Majestätsbeleidigung. Struensee und sein Freund Enevold von Brandt wurden in die Zitadelle gesperrt, die Königin nach Kronborg gebracht.

Struensee und Brandt wurden in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung war ein besonders grausames Spektakel. Beiden Männern wurde zuerst eine Hand abgehackt, dann wurden sie geköpft. Die Köpfe wurden auf Stangen gespießt, die Körper gevierteilt und aufs Rad geflochten. Erst 1920 wurden die vermeintlichen Überreste der Hingerichteten in der deutschen St.-Petri-Kirche in Kopenhagen beigesetzt.

Voltaire und Lessing, die Struensee gekannt hatten, reagierten entsetzt. Christian soll nach der Hinrichtung von Struensee und Brandt gesagt haben: "Das war nicht mein Befehl. Ich hätte sie gern gerettet." Er selbst starb 1808 in Rendsburg. Caroline Mathilde wurde vom König geschieden, von ihren Kindern getrennt und nach Celle in ein Schloss ihres Bruders geschickt. Dort ist sie im Alter von nur 23 Jahren an Scharlach gestorben. Nach der Hinrichtung übernahm Struensees konservativer Kritiker Ove Høegh-Guldberg die politische Führung in Dänemark und kassierte fast alle Reformen wieder. Erst Christians und Carolines Sohn Friedrich VI. setzte später Reformen durch, die an Struensees Vorschläge anknüpften.

"Das Interesse an dieser ungewöhnlichen Geschichte ist durch den Film wieder stark angestiegen", sagt Juliane Schmieglitz-Otten, die Leiterin des Residenzmuseums im Celler Schloss, wo Caroline Mathilde ihre letzten Jahre verbrachte. Gerade erst waren dort die anonymen Flugblätter ausgestellt, die Struensee und die Königin diskriminierten, aber auch das Henkersbeil und Strumpfbänder der Königin. Jetzt befindet sich die Ausstellung auf dem Weg nach Kopenhagen, wo sie im Theatermuseum zu sehen sein wird. An historischer Stätte, denn das Museum befindet sich im ehemaligen Hoftheater und unweit der Stelle, an der man Struensee verhaftet hatte.

Der Hamburger Historiker Mathias Hattendorff hat in seinem Buch "Höfische Reglements und Lustbarkeiten" beschrieben, wie Christian und Caroline mehrfach Altona und Hamburg besucht haben. Sie wurden jeweils mit großem Pomp und vielen Böllerschüssen empfangen. Der König ging am Gänsemarkt ins Theater, ließ sich über die Alster rudern und veranstaltete einen Maskenball. Zusammen mit dem Hofstaat verbrachte man Zeit im Ahrensburger Schloss, in Schloss Gottorf, besonders aber im Schloss Traventhal bei Segeberg und im Herrenhaus der Rantzaus in Ascheberg am Plöner See.

Moral, Politik, Ideale, Krankheit, Verrat und Leidenschaft - die Zutaten zu dieser ungewöhnlichen königlichen Beziehung waren vielfältig. Kein Wunder, dass sich Künstler darauf gestürzt haben. Der Schwede Per Olov Enquist schrieb den erfolgreichen Roman "Der Besuch des Leibarztes". Den Struensee spielte Clive Brook 1935 im britischen Film "The Dictator", O. W. Fischer 1957 in "Herrscher ohne Krone". Vor einigen Wochen erst lief Wilfried Haukes Dokudrama "Eine königliche Affäre" im Fernsehen.

Bänkelsänger beschrieben das Schicksal des Mediziners mit einer Extra-Portion schwarzen Humors:

"Allhier auf diesem Canapee

Liegt Johann Friedrich Struensee.

Es zeigen die zerteilten Stücken

Die Unbeständigkeit von Glücken."

"Die Königin und der Leibarzt" startet heute in den Hamburger Kinos Abaton, Koralle, Passage und Zeise.