In “Achterbahn“ porträtiert Peter Dörfler den Schausteller Norbert Witte.

Jeden Augenblick muss es abwärts gehen. Kurz bevor Norbert Witte bei einer Achterbahnfahrt in die Tiefe rauscht, schließt er seine Augen. Die klagende Trompete des Titelsongs verstummt. Schnitt. Auf eine platte symbolische Talfahrt eines gescheiterten Freizeitparkbetreibers, der mit seinen Geschäften die ganze Familie in den Ruin reißt, verzichtet Peter Dörfler in seinem Dokumentarfilm "Achterbahn", der am 9. Juli in die Kinos kommt. Zumindest in dieser ersten Szene. Der Regisseur will nicht skandalisieren und lässt sich in den folgenden eineinhalb Stunden viel Zeit, um die echte Talfahrt des "Rummelkönigs" zu zeigen.

Als Betreiber des Spreeparks, eines Vergnügungsareals in Berlin-Treptow, häufte Norbert Witte in den 90er-Jahren 15 Millionen Euro Schulden an, floh mit seiner Familie nach Peru und versuchte, nachdem er auch dort scheiterte, 167 Kilo Kokain nach Deutschland zu schmuggeln. Mit dem Erlös wollte er sich und seiner Familie einen Neubeginn in seiner Heimat ermöglichen. Witte wurde gefasst, der Fall in den Medien breitgetreten, und der Schausteller erhielt seinen Spitznamen: "Rummelkönig".

In Dörflers Bildern wirkt der Mann aber keineswegs wie ein König. Sein breiter Kopf versinkt kraftlos zwischen den Schultern, seine trüben Augen scheinen auf alles zu spät zu reagieren. Ein gebrochener Mann? Er hätte allen Grund es zu sein. Nicht nur, weil sein Kokaincoup misslang und sein Schicksal in aller Öffentlichkeit seziert wurde. Schon mit 26 Jahren verursachte er bei Reparaturarbeiten einen Unfall auf dem Hamburger Dom. Sieben Menschen starben. Noch schwerer auf seinen Schultern lasten dürfte nur ein weiteres Leben, das er zerstört hat - das seines Sohnes.

Als Witte wegen des Kokainschmuggels aufflog, war er schon wieder in Deutschland. Er wurde zu sieben Jahre Haft verurteilt, kam aber nach drei Jahren wieder frei. Sein Sohn Marcel befand sich dagegen in Peru, als man das Schmuggelgut entdeckte. Obwohl der damals 20-Jährige nur eine geringe Schuld an dem Kokaingeschäft hatte, sperrte man ihn in eines der härtesten Gefängnisse der Welt. Verurteilt zu 20 Jahren Haft. Dort sitzt er noch heute.

Dörfler zeigt in "Achterbahn" einen Mann, der bemitleidenswert oft scheitert und für viele seiner Fehler eine Erklärung parat zu haben scheint. Der Regisseur zeigt aber nicht nur einen liebenswürdigen Pechvogel. Er zeigt auch einen Mann, der immer wieder aufs Ganze geht und nicht davor zurückschreckt, Risiken auf Menschen zu laden, die ihm am nächsten stehen. An diesem Versuch, alle Facetten zu berücksichtigen, scheitert der Film und reüssiert zugleich.

Der Charme, den Geschichten vom Rummel versprühen können, fehlt bei Dörflers Porträt. Auch weil ihm bei unzähligen Einstellungen aus Peru und Berlin offenbar das Filmmaterial ausging. Mit unscharfen und pixeligen Bildern musste er all zuoft improvisieren. Bei den vielen Details, die Dörfler aufführt, geht zudem der rote Faden immer wieder verloren.

Auf Kosten einer packenden Dramaturgie gelingt es Dörfler aber, die nötige Distanz zu wahren. Das zeigt vor allem die letzte Szene. Witte sitzt wieder in der Achterbahn. Und diesmal lässt ihn Dörfler in die Tiefe rauschen. Ganz deutlich meint der Zuschauer nun einen Mann zu sehen, der abstürzt - grinsend und gedankenlos. Doch mit dieser einfachen Antwort auf die Frage, wer Norbert Witte ist, entlässt der Film den Zuschauer nicht. Das letzte Bild, ein altes Foto, zeigt denselben Mann - diesmal als stolzen Vater, auf dessen Brust sein Baby Marcel schläft.

+++-- Achterbahn Deutschland 2009, 89 Min., o. A., R: Peter Dörfler, im 3001; www.achterbahn-der-film.de/