Düsseldorf. Weil das Schauspielhaus von einer Baustelle umzingelt ist, zieht die Bühne des neuen Düsseldorfer Intendanten Wilfried Schulz in die Stadt. Zum Auftakt wurde in einem Zirkuszelt an der eleganten Kö gespielt - mit viel Sand in der Manege.

Am Ende seiner Irrwege muss König Gilgamesh einsehen, dass sein Streben nach Unsterblichkeit vergebens ist: Die Zeit wird seine Stadt Uruk im Schwemmland zwischen Euphrat und Tigris fortspülen.

Der Tod wird seine Untertanen weiter abmähen wie Uferschilf. Und doch ist es den Menschen im Zirkuszelt des Lebens bestimmt, zu feiern, sich fortzupflanzen und weiter aufzubauen, was die Zeit eingerissen hat. So weit die bald 5000 Jahre alte Geschichte von Gilgamesh, die am Donnerstagabend in Düsseldorf in einem Zirkuszelt aufgeführt wird.

Nachdem sich Gilgamesh dieser letzten Einsicht gebeugt hat, hebt sich hinter der Bühne die Zeltwand und gibt den Blick frei auf den Düsseldorfer Corneliusplatz. Euphorisiert schreitet der König hinaus, seine begeisterten Rufe entfernen sich in Richtung der eleganten Königsallee. Das Premierenpublikum von "Gilgamesh" hat ist nach zwei Stunden Kampf und Späßen im Manegensand, Homo- und Hetero-Erotik, Götterzwist und Menschenstreben gleichtzeitig erschöpft und vitalisiert.

Mit der "Gilgamesh"-Inszenierung von Roger Vontobel hat der neue Theaterintendant Wilfried Schulz seine erste Spielzeit in Düsseldorf eröffnet - in einem geliehenen Zelt an der Kö, denn das Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz ist voraussichtlich bis 2017 wegen einer lärmenden Großbaustelle geschlossen. Das wusste Schulz aber noch nicht, als er seinen Vertrag in Düsseldorf unterschrieb und sich aus Dresden weglocken ließ.

Schulz hat nach dieser bösen Überraschung eine Flucht nach vorn angetreten. Das Theater müsse "den Zuschauern entgegenkommen", sagte er. Fragt man Schulz nach seinen Wünschen fürs Theater in Düsseldorf, fällt unter anderem das Wort "Volkstheater".

Im Zirkuszelt an der Kö das älteste überlieferte Epos der Menschheit aufzuführen, ist dafür ein programmatischer Einstand. Schulz sagt, es sei gut, sich zu erinnern, warum man Theater mache, es sei gut, "an die Basis zu gehen, an die Urgefühle, an die Urgeschichten". "Gilgamesh" erzählt so eine Urgeschichte: König Gilgamesh (Christian Erdmann) erobert sich in jungen Jahren grausam ein Reich und terrorisiert die Menschen seiner Stadt Uruk mit seiner Herrschsucht und sexuellen Unersättlichkeit.

"Das finde ich verblüffend, dass das die erste Geschichte ist, die wir Menschen niedergeschrieben haben", sagt Regisseur Vontobel nach der Premiere. Verblüffend sei auch, "wie wenig wir uns von gewissen Themen haben entfernen können und immer wieder um das Gleiche kreisen müssen". Daher ergebe es auch 5000 Jahre später noch viel Sinn, den ruhelosen König in die Düsseldorfer Innenstadt zu entlassen.

In Düsseldorf wirkt das trotz Textlastigkeit und ausgreifendem erzählerischem Gestus hochgradig vital: Im Sand der Manege riecht es nach Schweiß und Dreck, verschiedenste Flüssigkeiten spritzen umher. Da wird gerungen und gejuxt, gefeiert und gestorben. Als das Steppenkind Enkidu sich anfangs mit den wilden Tieren am Wasserloch paart, ist es noch im Fluss mit den Dingen, mit Akrobatik und ekstatischen Tanzchoreografien.

Das wirkt zugleich sehr heutig und sehr alt. Vontobel schafft aus Sand, Wasser und einigen großartigen Ideen eine fruchtbare Mischung, die nicht nur schön anzusehen ist. Sie eröffnet auch einen neuen Blick auf die derzeitige Kriegsbarbarei im Irak und in Syrien.