Berlin. Zwei große Theatermänner aus der alten Riege gehen - und auf den Spielplänen steht einiges Neues an. Wie politisch wird die Theatersaison? Und sind Romane immer noch beliebt?

In Berlin verabschieden sich mit Frank Castorf (65) und Claus Peymann (79) zwei Theater-Intendanten aus der alten Riege. An den Bühnen verändert sich einiges.

Im vergangenen Jahr wurden sie von der Wirklichkeit eingeholt: "Die Flüchtlingskrise hat das deutschsprachige Theater auf dem falschen Fuß erwischt", schrieb das Fachmagazin "Theater heute". Wie politisch wird die neue Saison? Und welche Stücke sind interessant? Eine Auswahl.

In BERLIN haben gerade zwei Bühnen den Titel "Theater des Jahres" bekommen, die Volksbühne und das Maxim Gorki Theater. Am Gorki stellt die hochgelobte Hausregisseurin Yael Ronen ihre neue Arbeit vor. In "Denial" (Uraufführung 9. September) geht es um das Verdrängen und Leugnen als Überlebensstrategie der Menschheit. Neu am Gorki ist ein "Exil Ensemble" mit sieben Theaterprofis, die ihre Heimat verlassen mussten.

Die Volksbühne läutet mit einem alten Bekannten die letzte Spielzeit von Frank Castorf ein: Am 21. September zeigt der Schweizer Christoph Marthaler ein Happening namens "Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter". Castorf selbst hat sich "Faust II" vorgenommen, was seiner Neigung zur Länge entgegenkommen dürfte. 2017 wird der Belgier Chris Dercon sein Nachfolger, eine umstrittene Entscheidung.

In HAMBURG punktet das Schauspielhaus mit aktuellen politischen Themen. Diesen Kurs will die Intendantin Karin Beier fortsetzen. Zur Eröffnung der Spielzeit wird sie am 17. September "Hysteria - Gespenster der Freiheit" frei nach Luis Buñuel inszenieren - ein Stück über eine Gesellschaft in Angst.

Außerdem bringt Beier die deutsche Premiere von "The Who and the What" auf die Bühne. In Ayad Akhtars viel diskutiertem Stück geht es um eine junge pakistanische Frau, die ein Buch über den Propheten schreibt und damit ihre muslimische Familie gegen sich aufbringt.

Der Trend zu Romanen bleibt: Luk Perceval inszeniert am Thalia Theater mit "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" zum dritten Mal einen Stoff von Hans Fallada.

In DÜSSELDORF ist das Schauspielhaus, eines der größten Sprechtheater Deutschlands, zwar für mehrere Jahre wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Der neue Intendant Wilfried Schulz begreift die Not aber als Chance. Er vagabundiert in seiner ersten Spielzeit am Rhein mit dem Ensemble durch die Stadt.

Höhepunkt ist im Mai 2017 das E.T.A.-Hoffmann-Schauermärchen "Der Sandmann", für das Schulz den Starregisseur Robert Wilson ("The Black Rider") gewinnen konnte. Für die Produktion darf das Ensemble vorübergehend im eigentlich geschlossenen Schauspielhaus auftreten, das von einer Großbaustelle umgeben ist. Weiteres Highlight dürfte im Januar die Uraufführung des Werks "Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)" der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sein. In dem Stück geht es um Mode - laut Jelinek "ein Düsseldorfer Thema".

Peter Richters Roman "89/90" steht sowohl in DRESDEN als auch in LEIPZIG auf dem Programm. In Leipzig wird zudem mit "Kruso" von Lutz Seiler die Theaterfassung eines zweiten Schlüsselromans zum Ende der DDR gezeigt. "RALF - Die Abenteuer von 60 Minuten" in Dresden erzählt die Geschichte eines Flüchtlings, der bei einer deutschen Familie landet wie einst der Außerirdische Alf in der amerikanischen Serie. Der in Wien lebende Syrer Ibrahim Amir steuert die Komödie "Homohalal" bei. Darin treffen sich ein Asylbewerber und seine Gegner von heute im Jahr 2032 wieder.

"Ab jetzt ist Ruhe", Marion Braschs autobiografischer Familienroman, kommt am 30. Oktober am Mecklenburgischen Staatstheater in SCHWERIN auf die Bühne. Regie führt Patrick Wengenroth.

In FRANKFURT/MAIN verabschiedet sich der Schauspiel-Intendant Oliver Reese mit elf Ur- und Erstaufführungen. Er übernimmt 2017 das Berliner Ensemble von Claus Peymann. In Frankfurt stehen neben antiken Tragödien fast nur Stücke von lebenden Autoren auf dem Plan. "Wir wollen beweisen, dass Theater kein Literaturmuseum ist", sagt Reese. Genre-Grenzen werden überschritten: ein Schauspiel mit Tanz von Falk Richter ("Safe Places"), ein "Finanz-Western" von Alexander Eisenach ("Der kalte Hauch des Geldes") oder ein "musikalisches Familientableau" von Lydia Steier ("Kein Schöner Land").

In MÜNCHEN hat Matthias Lilienthal als Intendant der Kammerspiele ein "Welcome Café" für Flüchtlinge und Einheimische gestartet. Die Spielzeit beginnt am 29. September mit der Erzählung "Der Fall Meursault - Eine Gegendarstellung" des algerischen Autors Kamel Daouds. Der Stoff betrachtet Albert Camus' "Der Fremde" aus Sicht der Figur des Bruders des getöteten Arabers. Regie führt der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani.

Die Spielzeit des Residenztheaters soll besonders politisch werden. "Eine dramatische Zeit verlangt auch Dramatik", sagt Intendant Martin Kusej. Start ist am 23. September mit Friedrich Schillers "Die Räuber" - mit Valery Tscheplanowa als Franz Moor. Der wegen seiner Haltung zur Flüchtlingspolitik umstrittene lettische Regisseur Alvis Hermanis soll 2017 im Cuvilliés-Theater das Projekt "Insgeheim Lohengrin" inszenieren. Es handelt von der Beziehung von Wagner zu München.

Das Burgtheater WIEN greift brennende Fragen der Zeit auf - und setzt dabei auf antike Stoffe ebenso wie auf den frischen Blick junger Regisseure. Als Motto der Saison dient das Zitat "Ja, es umgibt uns eine neue Welt!" aus Goethes "Torquato Tasso", wie Burg-Chefin Karin Bergmann erklärt.

Es kommen laut Bergmann bewusst viele Regisseurinnen zum Zuge. Eine Auswahl: Carolin Pienkos wird Bertolt Brechts "Coriolan" inszenieren, Tina Lanik das Anti-Rassismus-Drama "Geächtet" von Ayad Akhtar, und Martina Gredler bringt Christine Nöstlingers "Lumpenloretta" zur Uraufführung.

Am Schauspielhaus ZÜRICH ist im Oktober erstmals "Frau Schmitz" zu sehen, das neue Stück von Lukas Bärfuss. Die Spielzeit eröffnen am 10. September Feridun Zaimoglu und Günter Senkel mit ihrer Version von "Antigone". Regie führt Stefan Pucher.