Berlin. Seine Inszenierungen sind legendär - Harry Kupfer hat wie kaum ein anderer Regisseur die deutsch-deutsche Opernszene geprägt. Auch mit 80 macht er auf der Bühne weiter.

Er reiste zwischen Wien, Bayreuth und Ost-Berlin lange, bevor die Mauer fiel: In den Jahren der Teilung konnte Harry Kupfer Grenzen überwinden und so zum stilprägenden deutsch-deutschen Opernregisseur werden.

Mit seinem "Ring" in Bayreuth schrieb er Theatergeschichte, die Komische Oper Berlin führte er künstlerisch von der DDR in das wiedervereinigte Deutschland. Auch wenn Harry Kupfer an diesem Mittwoch 80 Jahre alt wird - ein Ruhestand kommt für den Opernmann nicht infrage. Im Gegenteil.

Kupfers Kalender ist voll. Im Oktober bringt er eine neue Fassung von Glinkas "Ein Leben für den Zaren" in Frankfurt auf die Bühne, im Sommer 2016 feiert sein umjubelter Salzburger "Rosenkavalier" mit Dirigent Zubin Mehta in der Mailänder Scala Premiere. Noch im Dezember 2014 inszenierte er in Shanghai das Wiener Musical "Elisabeth".

Der gebürtige Berliner verdankt seinen Beruf eigentlich einer großen Musikalität - und einer schwachen Stimme. Weil er nicht singen konnte, sei ihm nur das Regiefach geblieben, um seine Leidenschaft für die Oper zu stillen. Mit 23 Jahren gab er sein Regiedebüt mit Antonin Dvoraks "Rusalka" in Halle. Nach Stralsund, Chemnitz, Weimar und zuletzt als Staatsoperndirektor in Dresden zog er 1981 nach Berlin.

Der Moderne und den verfemten Komponisten fühlt sich der Schüler von Regie-Meister Walter Felsenstein noch immer verpflichtet. 1994 hatte Kupfer Berthold Goldschmidts musikalische Tragikomödie "Der gewaltige Hahnrei" auf die Bühne gebracht. Nach dem Verbot durch die Nazis war das Werk 60 Jahre nicht mehr gespielt worden.

Zu Kupfers Sternstunden gehören fesselnde Deutungen von Aribert Reimanns "Lear" oder Bernd Alois Zimmermanns "Soldaten" ebenso wie Uraufführungen von DDR-Komponisten - von Siegfried Matthus bis Udo Zimmermann.

"Ich möchte alle Fragen der Welt in dieser schönen totalen Kunstform, der Oper, durchspielen, um dabei Vorschläge zu machen für das Zusammenleben der Menschen", sagte Kupfer einmal im Interview. "Es ist mein unmittelbares Bedürfnis, mich in dieser Kunstgattung zu äußern, eigentlich meine Lebensform."

In den vergangenen Jahren arbeitete er in Dresden und Sydney, brachte den "Ring" in Barcelona und den "Parsifal" in Helsinki heraus. Zur Seite steht ihm dabei immer wieder sein langjähriger Bühnenbildner Hans Schavernoch.

Bereits 1978 brachte es Kupfer bis nach Bayreuth, wo er mit einem "Fliegenden Holländer" in psychoanalytischer Deutung bei Wagnerianern eher gemischte Reaktionen auslöste. Zwar konnte Kupfer zu DDR-Zeiten immer in den Westen ausreisen - ganz verlassen wollte er die DDR nicht. "Im Westen hätte ich nie so gute Arbeitsbedingungen gefunden. Außerdem hatte ich das Gefühl, in der DDR als Künstler gebraucht zu werden", sagte er jetzt in einem Interview der Zeitschrift "Opernwelt (August-Ausgabe).

Zehn Jahre später produzierte er in Bayreuth mit Daniel Barenboim den "Ring des Nibelungen". Die Fallstudie aus dem Irrenhaus wurde als Jahrhundertereignis gefeiert. Die Figuren hausten in Betonbunkern, abgewrackten Kläranlagen und zertrümmerten Glaspalästen. "Kupfer hat dem Wagner Dinge abgelauscht, die der sich vielleicht nicht einmal hatte vorstellen können", schrieb der damalige "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein.

Ein Meilenstein wurde auch die Aufführung der zehn wichtigsten Wagner-Werke an der Berliner Staatsoper - wieder mit Barenboim am Pult. "Menschen mit ihren Konflikten, Problemen und Widersprüchen gehören auf die Opernbühne", sagte der Regisseur einmal - eine Haltung, die er zwar auch bei zeitgenössischen Komponisten fand, nicht so sehr beim Regie-Nachwuchs. "Ich hatte den Eindruck, dass bei vielen jungen Regisseuren das Ego, grelle Bilder wichtiger waren, als die Stücke, die Texte, die Musik", sagte er im "Opernwelt"-Interview.

Lange galt Kupfer als "Opernkönig von Berlin", wie die "Zeit" schrieb. Als er 2002 nach 21 Jahren als Chefregisseur der Komischen Oper abtrat, hatte das Haus 37 Kupfer-Inszenierungen im Repertoire. Mit seinem realistischen Musiktheater und seiner präzisen Personenführung hatte er als Felsenstein-Schüler eine Epoche geprägt. Noch heute sieht Kupfer die Komische Oper, die vom australischen Intendanten und Regisseur Barrie Kosky geführt wird, als interessanteste Opernbühne der Hauptstadt.