Mit Verdis venezianischer Polit-Tragödie „I due Foscari“ hat die Hamburger Staatsoper ihre Premieren-Serie zum Komponistenjubiläum fortgesetzt. Das Publikum war sehr angetan.

Hamburg. Tröstlich, dass selbst ein Genie wie Verdi schwache Phasen erlebte und Niveau-Durchhänger hatte. Als er 1844 seine sechste Oper „I due Foscari“ vollendete, die Vertonung von Machtkämpfen in Venedigs Renaissance-Palästen, hatte er es gewiss sehr gut gemeint.

Keine klassische Liebesgeschichte mit dem Sopran zwischen Tenor und Bariton, sondern ganz klassische Männerangelegenheiten, basierend zudem auf einer wahren Geschichte; Intrigen und Folter, Leid und Schmach, davon sollte dieses Stück über Realpolitik handeln. Tat es dann ja auch, nur leider ziemlich hölzern und offensichtlich routineübend, dass dieses Drama im Verdi-Werkkatalog schnell unter ferner liefen einsortiert wurde. Erst recht, weil der spätere „Simon Boccanegra“ mit verwandter Thematik ein ganz anderes Kaliber bietet und ungleich komplexer ist.

In diesem Frühwerk klingt schon vieles an, was Verdi-Hörern sehr bekannt vorkommt, allerdings wie Vorskizzen oder im noch halb garen Rohzustand. An Ehre ist also nicht viel zu retten damit, aber genau deswegen ist „Foscari“ – zehn Stücke vor dem „Rigoletto“ entstanden – als spröde Wissenslücken-Füllung im Raritäten-Dreierpack der Staatsoper zum Jubiläumsjahr gut und richtig aufgehoben. Erst mit der Einbeziehung solcher Problemzonen wird das Bild eines Opern-Genies abgerundet und komplett.

Venedig also diesmal statt der Lombardei, in den gleichen katakombig spartanischen Kulissen, die Regisseur David Alden schon in seiner „Battaglia di Legnano“-Inszenierung als Universalhintergrund etabliert hat, und in ähnlich proletarischen Kostümen, die das frühe 20. Jahrhundert andeuten. Finster ist es hier, schmucklos, trist, Prunk, Pracht, Protz sind Vergangenheit. Mit dieser glanzlosen Republik ist kein Staat mehr zu machen. Wände dieses Labyrinths verschieben sich, Fluchten entstehen, ohne tatsächlich Fluchtwege zu eröffnen. Und über allem und jedem schwebt der Chor bei seinen Einsätzen kommentierend und beobachtend, als Stimme des Volkes.

Die Pflicht zur Macht macht selbst die Besten einsam, Ohnmacht macht sie hilflos, schon klar. Und damit man gar nicht erst in noch tieferes Grübeln gerät, wer hier was verkörpert, wird der Intrigant Jacopo Loredano messerhantierend und im Gestapo-Ledermantel am Bühnenbildrand vorgezeigt, lange bevor Ziyan Atfeh seinen fast zu freundlichen Bass erstmals hören lässt. Er wird auch, das Böse ist ja immer und überall, als Mahnmal des Miesen durch die Kerkerszene schleichen, während der herzensgute, natürlich zu Unrecht angeklagte Dogen-Sohn Jacopo Foscari sein Weh als politischer Häftling besingt. Diese Rolle füllte Giuseppe Filianoti zwar nicht überwältigend oder gar mit charmant daherkommendem Schmelz aus, aber sehr angenehm, allerdings erst, nachdem er sich in die Höhe freigesungen hatte.

Foscari Senior war dieses Schicksal lange, quälend lange nicht vergönnt am Premierenabend. Andrzej Dobber als alter Doge verkörperte diesen Charakter, der Recht vor Verwandtschaft stellt und daran zugrunde geht, so alterssteif und starr, als wäre er aus dem Wachsfigurenkabinett entflohen. Bedauerlicherweise sang Dobber über weite Strecken auch ähnlich phlegmatisch.

Erst im Finale, als klar war, dass die Macht des Schicksals ihn in die Knie und dann in den Tod zwingen würde, kam Dobber in Wallung. Da erst ließ er ahnen, wie ein Sänger in dieser Rolle brillieren könnte, wenn er mehr sein wollte als eine baritonal knödelnde Wachkoma-Variation über den Lear, über den Verdi viel nachdachte, den er letztlich aber doch nicht vertonte.

Ohnehin war die zweite Hälfte der „Tragedia lirica“ die bessere, gehaltvollere, dramatisch wie musikalisch dankbarere. Das Elend nahm Fahrt auf, die Misere steuerte auf ihr schlimmes Ende zu. Und je auswegloser die Situation für den zu Unrecht nach Kreta verbannten Dogen-Sohn, desto mehr ließ Amarilli Nizza als Jacopos Gattin Lukrezia davon ab, es matronig und metallisch scharf zu übertreiben mit dem ständigen Verzweifeltsein, Hadern und Armekinderchenvorzeigen.

David Aldens Regie hatte dabei mit ihr weniger Mitleid als die Sopranistin anfänglich mit dem Publikum, mehr als die simpelsten Klageweiber-Posen aus dem verstaubten Stadttheater-Gesten-Fundus war ihr in den drei Akten nicht vergönnt. Auch das ist wohl ein Beleg dafür, dass in dieser Oper Frauen zwar Partien singen, aber eben keine Rolle spielen.

Simone Youngs Dirigat holte, nach einigen Aufwärmproblemen und Trübungen in den ersten Szenen, das Bestmögliche aus der Partitur und viel Schönes aus den Philharmonikern. Auch der neue Chordirektor Eberhard Friedrich machte, wenn auch auf kleinerer Musikdrama-Flamme, dort weiter, wo er mit „Legnano“ seinen Einstand am Haus gab.

Das Premieren-Publikum war sehr angetan, die Operngeschichts-Lektion hat damit ihr wichtigstes Klassenziel erreicht.

Weitere Termine: 30.10., 2./16./21.11.Nächste Verdi-Premiere: 10.11. „I Lombardi alla prima Crociata“; weitere Infos im Internet: www.hamburgische-staatsoper.de