Island macht in Hamburg Station: mit Steinunn Sigurdardottir, Viktor A. Ingólfsson und Andri Snaer Magnusson

Im Grunde hatte es Einar Már Gudmundsson, dieser große Mann der isländischen Literatur, auf den Punkt gebracht. Mit wenigen Sätzen und sehr viel Humor, aber das Schönste war: Er war sich dessen nicht einmal bewusst. Es war das Jahr 2009 und Island inmitten der größten Krise seit seiner Unabhängigkeit 1944 - es war zahlungsunfähig. Und Einar Már Gudmundsson schrieb in einem Essay: "Ein Freund, der alle Bände des 'Kapitals' besitzt und auch gelesen hat, sagte mir, dass ein Zustand wie der, der nun eingetreten ist, im dritten Band behandelt wird. Nur wenige haben diesen Band gelesen, auch ich nicht, weil im zweiten so viel Mathematik vorkommt. Der Freund sagt, dass Marx im dritten Band von fiktivem Kapital spricht; das bedeutet, dass keine Sachwerte hinter dem Gewinn stehen, sondern wertloses Papier von Hand zu Hand wandert."

Natürlich brauchte man im Frühjahr 2009 keine Mathematik, um zu begreifen, was an den internationalen Finanzmärkten passiert war, nur, fragte man sich damals bei der Lektüre: Welcher europäische Denker hätte noch diese Größe gehabt? Zuzugeben, den dritten Band des 'Kapitals' nicht verstanden zu haben?

Nein, so viel Ehrlichkeit, so viel Selbstlosigkeit zugunsten der eigentlichen Botschaft, das schaffen auf der Welt nur die Isländer. Es ist nämlich deutlich weniger mystisch und versponnen als man denkt, dieses ehemalige Volk der Fischer und Bauern im Nordatlantik. Bei dem das größte Rätsel ja doch nach wie vor darin besteht, wie sie es nach kollektiv durchzechten Wochenenden schaffen, jeden Montag aufs Neue den drei bis vier Jobs nachzugehen, die hier jeder hat, um das teure Leben bezahlen zu können. Denn das ist es nach wie vor, trotz und vielleicht auch wegen der andauernden Krise.

Vieles davon, der plötzliche Reichtum, der Ausverkauf, der Rausch und der Absturz, findet sich in den Büchern, die sie schreiben, nicht nur seit 2009. Island ist in diesem Jahr Gastland der Buchmesse Frankfurt, doch bereits zum Harbour Front Festival präsentieren sich Autoren dem Hamburger Publikum. Island ist ein schöner Gast, man kann so viel von ihm lernen. Künstler werden auf der Insel traditionell hoch geschätzt, Schriftsteller bei der sagenhaften Literaturgeschichte dieses Volkes ohnehin. 42 Verlage gibt es auf Island, von denen beachtliche 35 kommerziell erfolgreich sind. Sie bringen etwa 1500 Neuerscheinungen pro Jahr auf den Markt, und die Isländer lesen sie, überhaupt sind sie ein Volk von Belesenen: Zweieinhalb Millionen Bücher kaufen sie jährlich, das sind umgerechnet sieben bis acht pro Kopf.

Die Autorin Steinunn Sigurdardottir gehört zu den derzeit erfolgreichsten des Landes. Am 20. September wird sie in der Christianskirche in Ottensen aus ihrem neuen Roman lesen: "Der gute Liebhaber" ist die Geschichte eines Mannes, der mit Ende 30 zu seiner ersten Liebe nach Island zurückkehrt - weil nichts ihm so groß ist wie die Erinnerung an diese kurze Zeit in seinem Leben. Es sind die totalen Gefühle, die Sigurdardottir interessieren und die sie immer wieder in ihren Büchern beschreibt; diese Welt, die entsteht, wenn zwei Menschen einander alles sind, die aber meist begrenzt ist von Zeit und Raum, und dazwischen stehen Sigurdardottirs Sätze. In denen kann man spazieren gehen wie in Landschaften, und so gesehen ist es wirklich ein Segen, dass diese Insel im Nordatlantik so ist wie sie ist: ein großes Rätsel. Ständig in Bewegung, Wasser oder Lava spuckend, schlammig oder buckelig oder grau oder trostlos, und dann, hinter der Kurve: ein Ganzes in Grün, mit Wasserfällen Fjorden. Und dann kommen ja noch die Jahreszeiten. Wobei - selbst über die lacht man auf Island. "Der erste Sommertag ist ein Beweis für traditionellen isländischen Humor. Immer derselbe Scherz. Jahr für Jahr. Um vier Uhr fallen große Flocken vom Himmel", schreibt Sigurdardottir in "Der Zeitdieb" (2003).

Mit Humor und der Liebe ist es auf der Insel natürlich nicht getan. Ziemlich dunkel wird es dort beizeiten, auch darum soll es in den Wochen des Festivals gehen. Wie überall in Skandinavien ist das Genre des Kriminalromans tief auf der Insel verankert. Am 23.9. lesen die isländischen Autoren Óttar M. Norðfjörð und Viktor A. Ingólfsson lesen aus ihren aktuellen Krimi-Bestsellern. Und um die Krise wird es gehen. Natürlich. Bereits am 16.9. diskutiert Andri Snaer Magnason in der Hafen City Thesen seines Sachbuchs "Traumland Island: Was bleibt, wenn alles verkauft ist?" Vielleicht fragt man den auch einfach mal, ob er Marx gelesen hat.

Steinunn Sigurdardottir: Der gute Liebhaber Rowohlt, 224 Seiten, 17,90 Euro

Lesung 20.9., 21 Uhr, Christianskirche, Klopstockplatz, Eintritt 12 Euro

Viktor A. Ingólfsson: Späte Sühne Bastei Lübbe, 334 Seiten, 8,99 Euro; Óttar M. Norðfjörð: Das Sonnenkreuz Aufbau, 368 Seiten, 9,99 Euro

Lesung Isländische Kriminacht, 23.9., 20 Uhr, "MS Bleichen", Eintritt 12 Euro

Andri Snaer Magnusson: Traumland Island Orange Press, 285 Seiten, 20 Euro

Lesung 16.9., 19.30 Uhr, Osakaallee9, Nachhaltigkeitspavillon, Eintritt 12 Euro

Island-Sagas mit Tilman Spreckelsen und Arthúr Bollason, Lesung 21.9., 20 Uhr, "MS Bleichen"