Der experimentelle Folk-Pop der Eidgenossin Olivia Pedroli ist ein Schatz, den es in Deutschland noch zu heben gilt - heute singt sie im Stage Club.

Hamburg. Wer schon einmal bei einem Umzug mitgeholfen hat, der kennt das vielleicht: Auf dem Karton steht zwar "zerbrechlich", aber beim arglosen Anheben ist es doch wieder eine verfluchte Bücherkiste. Schwer und bis zum Rand gefüllt mit Abenteuern, Reisen, Gedanken, Träumen und Dramen. Eine solche überraschende Wucht hinter filigraner Anmutung steckt auch in "The Den", dem dritten Album der Schweizer Sängerin, Violinistin und Gitarristin Olivia Pedroli.

Mitten in einer kleinen Folk-Gitarrenfigur beginnt mit dem Stück "Bow" dieses Kleinod von Album, in das sich Vogelgezwitscher, eine vorbeifliegende Propellermaschine, Synthies und klagende Streicher mischen. Die Melodie geht wieder verloren, dafür drängt sich eine einnehmende Stimme in den Vordergrund, die über Cellokratzen gleitet wie ein Adler über die Alpen. Dort oben ist es kalt, die Höhe einschüchternd, aber die Gitarre taucht wieder auf wie die Sonne über den Gipfeln.

Man hört in jeder Sekunde den Werdegang von Pedroli: Geboren 1982 in Neuchâtel, entdeckt die Eidgenossin mit fünf Jahren die Violine und verfeinert ihre Künste 13 Jahre lang am Konservatorium Neuchâtel. Statt aber mit dem Diplom in der Tasche im stillen Kämmerlein zum Bogen zu greifen, zieht Pedroli reisend, jobbend und an Lagerfeuern Gitarre spielend zwei Jahre lang durch Neuseeland, Australien und Kanada.

Zurück in der Schweiz, wird sie von Simon Berger entdeckt, aktuell Bassist der großartigen Schweizer Chanteuse Sophie Hunger . Er produziert für Pedroli zwei Alben: Unter dem Künstlernamen Lole erscheinen "The Smell Of Wait" (2005) und "Sugar And Dry" (2007) mit handelsüblichen Indie-, Rock- und Popsongs, die in der Schweiz schon zu ausverkauften Sälen und international zu Support-Plätzen für Joe Cocker oder Paul Simon führen.

Aber eigentlich dauert es bis zur Begegnung mit dem isländischen Produzentengenie und Komponisten Valgeir Sigurðsson (Björk, Feist, Camille), damit sich Olivia Pedroli voll entfalten kann. Monatelang schmieden die beiden Pläne, Arrangements, Melodien und Texte, bis "The Den" im September 2010 in der Schweiz und ein Jahr später in Deutschland erscheint. Bereits die Veröffentlichung unter ihrem richtigen Namen spricht für den persönlichen Bezug von "The Den", denn hier kulminieren ihre klassische akademische Ausbildung, die Songwriter- und Folk-Einflüsse, experimenteller Freigeist und leichtgängiger Pop-Appeal.

Wer vor allem Melodien sucht, der findet auf "The Den" die berückend-bedrückende Ballade "Raise Erase", die Minnesänge "The Day" und "A Path" und das flehende "Stay": Spannung trotz Entschleunigung schon beim einfachen Nebenbeihören. Denn bei allen experimentellen Ambitionen und komplexen Kompositionen sind die Lieder alles andere als verkopft oder sperrig. Im Gegenteil.

Und doch entsteht die Faszination besonders beim Eintauchen in die Flut von Details, die in den orchestralen Arrangements von Valgeir Sigurðsson stecken. Er entwirft Dramen ohne Pathos, Schönheit ohne Kitsch. Klanglandschaften ohne ausgetretene Pfade. Er führt Pedrolis glasklare Stimme durch die Düsternis des dynamischen, percussiven Minithrillers "I Play". Bass, gezupfte Geigen, sich steigernde Bläserfanfaren, Rauschen.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass hier das grazile Talent der aktuellen Schweizer Sängerinnengeneration auf die seit vielen Jahren bewunderten, besonderen Pop-Visionen der Isländer trifft. "Wir Schweizer müssen immer sicher sein, dass wir alles perfekt können, bevor wir uns auf eine Bühne stellen", sagte Pedroli im Deutschlandradio. Heute steht diese Bühne im Stage Club.

Olivia Pedroli, Mark Berube: Di 22.11., 20.00, Stage Club (S Holstenstraße), Stresemannstr. 163, Eintritt 18,-; www.oliviapedroli.com