Der Hamburger Thees Uhlmann besingt auf seinem ersten Soloalbum das Dorf Hemmoor im Landkreis Cuxhaven und seine Liebe zu St. Pauli.

Hamburg. Die Sonne schickt ihr träges Frühabendlicht auf den Kiez, das Molotow hat noch längst nicht geöffnet. Aber da geht trotzdem schon jemand auf den Eingang des Szeneklubs zu, über der Schulter hängt ein Gitarrenkoffer. Ansonsten: Jeans, blaues T-Shirt, Zahnlücke. Man hat den Mann hier, auf St. Pauli, einst öfter gesehen. Jetzt schaut er zu den oben im Himmel Tanzenden Türmen, der Mittdreißiger mit dem blonden Haar, und sagt: "Die sehen geil aus, aber deswegen zieht keiner nach Hamburg. Komisch, dass die jetzt zur Reeperbahn gehören."

Was wo hingehört: eine gute Frage. Thees Uhlmann, 37, gehört vielleicht nach Hamburg, die Stadt, in die er nach sieben Jahren Berlin wieder gezogen ist. Vielleicht gehört er aber auch nach Hemmoor, Landkreis Cuxhaven, Niedersachsen. "Hier komm ich her, hier bin ich geboren", singt der Popmusiker Uhlmann in einem seiner neuen Songs. Er hat, so lässt sich mit Fug und Recht behaupten, eine Heimat-Platte gemacht. Ein Album, das den ganz großen Bogen spannt. Im ersten Song singt er vom Zyklus der Lachse, die zum Laichen und Sterben den Fluss hinaufziehen. Im letzten Stück führt er seine Hörer von der Quelle ans Delta und zurück. Das Leben ist kein langer, ruhiger, bei Uhlmann aber immer ein wilder, alles mitreißender Fluss. Die CD ist die erste als Solokünstler, Uhlmann ist eigentlich der Anführer der Band Tomte.

Dieser Anführer geht jetzt also hinunter in den Schuppen mit den niedrigen Decken, er geht in den kleinen Backstagebereich und sagt: "Sechsmal habe ich im Molotow gespielt." Dann macht der Fotograf Rock-'n'-Roll-Fotos von ihm - einsamer Mann mit Gitarre und so, das hat etwas Romantisches.

Er sei schon viel zu alt für das, was er tue, sagt Uhlmann. Und dann sind wir schon mittendrin in unserem Gespräch: Es geht um die Provinz und die Stadt, um Hip-Hop und Bruce-Springsteen-Klaviere, um das Vatersein und Super-8-Aufnahmen aus der Kindheit. Um Selbstzweifel und Erfolg. Unter anderem. Thees Uhlmann ist ein Geschichtenerzähler, das weiß man von den Konzerten; dort gibt er gerne den Unterhalter. Dieser Mann sagt jetzt erst mal einen Satz, an dessen Ende er die Fäuste ballt: "Ich habe als Dorftrottel aus Niedersachsen 15 Jahre lang mit Tomte erfolgreich Musik gemacht, von der Roten Flora bis zum Hurricane-Festival. Das war sehr anstrengend, denn ich war immer wahnsinnig angespannt."

"Dorftrottel": Das ist er, der selbstironische Uhlmann, da gehen wir zunächst drüber weg. Das andere interessiert uns - 15 Jahre Anspannung, warum? "Weil man immer Angst hat, dass man irgendwann nicht mehr auf Tour gehen darf", sagt Uhlmann und zieht an seiner Kippe. Er wird viel rauchen während des Gesprächs, sich die Haare zwirbeln, mit dem Knie wippen. Gleichzeitig sagt er sehr bestimmt: "Als Thees Uhlmann solo aufzutreten, das ist das, was ich jetzt entspannt tun wollte."

Andere fühlen sich als Solokünstler erst recht unter Druck, Uhlmann anscheinend nicht. Will man ihm das abnehmen? Vielleicht. Und dann erzählt er schon von den Teenagern, die ihm über Facebook saloppe Huldigungen zuteil werden lassen. Rock mochten sie eigentlich nicht so, aber das, was er mit Casper mache, das sei geil. Das ist nämlich auch Uhlmann 2011: der Typ, der auf dem Nummer-eins-Album des neuen Lieblings-Rappers zu hören ist. Uhlmann kennt man jetzt auch auf dem Pausenhof, und derlei Fame dürfte sich tatsächlich ganz lässig genießen lassen. Ob hingegen der Pressetext zum Album "Thees Uhlmann" ein Genuss ist, das weiß man nicht wirklich. Der Künstler kann sich nicht so recht entscheiden, ob er grinsen oder gequält das Gesicht verziehen soll. Vom "Heartland" Niedersachsen ist dort pathetisch die Rede.

Bald tritt er beim Bundesvision Song Contest für Hamburg an

Und davon, dass Uhlmann für Niedersachsen das sei, was Springsteen für New Jersey und Conor Oberst für Nebraska sind: Besinger des Herzlandes, der süßen Heimat. Dazu ist zumindest eines zu sagen, nämlich dass Uhlmann (der beim Bundesvision Song Contest im September für Hamburg antritt) eine, nun ja, herzliche und auch ein bisschen folkloristische Norddeutschland-Platte aufgenommen hat. "Zwischen Schweinediscos über Dörfer Fahrrad fahren/mit dem ständigen Wind, der von vorne kam", heißt es da. Während die Band Tocotronic, die Uhlmann vor Jahren mal als Roadie begleitete, schon lange verkündete, "eins zu eins ist jetzt vorbei", ist der Solosänger genau das: ein Eins-zu-eins-Typ. Einer, der sein Innerstes nach außen kehrt.

Von dem wir aus seinen Songs nun wissen, dass er Widder ist und ein Littbarski-Fan war. "Im Zweifel für die Hymne" könnte seine Devise lauten.

Das macht Spaß beim Hören. Es lässt sich vortrefflich dazu Bier trinken und in den Armen liegen. "Ich habe ein Kind zu erziehen, dir einen Brief zu schreiben und einen Fußballverein zu supporten", singt Uhlmann in dem Lied "17 Worte". Und im Anschluss lässt er sie alle zu sich bringen, "die Fiebrigen und die Kaputten, die Dicken und die Sünder". Uhlmann als Jesus. Da umarmt einer die Welt. "Je älter ich werde, umso normaler fühle ich mich. Ich unterscheide mich nicht vom Spielhallenbetreiber um die Ecke", sagt Uhlmann dann aber bescheiden. Und wie er da so sitzt, in der Sitzecke neben dem Molotow-Tresen, auf diesem vertrauten Flecken, wirkt das keineswegs kokett. Seine große Verortung, die er musikalisch betreibt, vergleicht er mit der Selbstentblätterung eines Kanye West. Schon wieder Hip-Hop. Das Prinzip des "Realen", wie es viele Rapper praktizieren, das gefalle ihm. Kommst du mit in den Alltag? Ja. Mit einem Lied über das "Mädchen von Kasse 2", das er Tag für Tag im Bus in Berlin beobachtete.

Überhaupt Berlin. Dafür braucht es eine weitere Zigarette. Das Feuerzeug klickt, der erste Zug, dann holt er aus. "Das Urbane, die Hipster, das wird wahnsinnig abgefeiert. Aber die meisten Leute kommen nun mal aus verschlafenen Käffern." Und dort, auf dem Dorf, hänge er mit seiner vierjährigen Tochter auch einfach mal gerne bei seiner Mutter ab. In Hemmoor, wo er selbst einmal Kind war. Von der Quelle zum Delta und zurück. Seine Zigarette hält Uhlmann jetzt senkrecht in die Höhe. Wie einen Taktstock. Sieben Jahre habe er in Kreuzberg gelebt.

"Irgendwann hat es mich nervös gemacht, die Verkehrsnachrichten zu hören und die Orte nicht zu kennen. Das mag kleingeistig sein, ist aber so", sagt er, drückt die Zigarette aus und streicht dann lange in dem Ascher herum. Der Ventilator rauscht. Im Hintergrund bürsten zwei Rock-'n'-Roll-Dienstleister den Klub für die Nacht auf.

Dass der Musiker nun nach Hamburg zurückgekehrt ist, hat viel mit der beruhigenden Wirkung zu tun, die in der Freundschaft liegt. Nicht nur in der engen zu Menschen wie Marcus Wiebusch von Kettcar, mit dem er das Label Grand Hotel Van Cleef gründete. Sondern auch in der kumpeligen Freundschaft, die er auf St. Pauli findet. Denn, klar, der zu supportende Verein ist der FC vom Millerntor (auch wenn Uhlmann nun nach Eimsbüttel gezogen ist). "In der Weinbar St. Pauli, dem Jolly Roger, beim Übersteiger, das ist so eine unglaubliche Herzlichkeit, wenn ich da reinkomme", sagt er.

Uhlmann trägt sein Herz auf der Zunge. Und seine Schwäche nach außen ("Berlin war mir irgendwie zu hart"). Er dichtet wie immer holprig ("Und wie häufig schlägt dein Herz/Wie häufig siehst du himmelwärts/Und wie häufig stehst du auf/Und freust du dich darauf/Und Jay-Z singt uns ein Lied/In der Schönheit des Moments/Wenn Du lachst und schreist und rennst"). Seine Selbstironie ist die eines Predigers, der im Grunde nicht an seiner Sendung zweifelt: "Ich werd' nicht müd', die Dinge, die ich lieb', zu preisen."

Er hat sich eine neue Gang zusammengescharrt. Na ja, eigentlich hat das Kumpel Tobias Kuhn getan: zuerst neue Musiker für Uhlmann gesucht, dann die Platte produziert. Uhlmann, der Freundschaftsekstatiker, hat über 4000 Freunde. Allein auf Facebook.