Der 37-jährige Sänger der Band Tomte, Thees Uhlmann, singt auf seinem ersten Soloalbum vor allem über seinen Heimatort Hemmoor.

Hemmoor. Die Indie-Band Tomte assoziieren die meisten mit Hamburg oder mittlerweile Berlin. In Wirklichkeit allerdings kommt Sänger Thees Uhlmann aus Hemmoor. Am 26. August veröffentlicht der 37-Jährige nun sein erstes Soloalbum. Gleich in mehreren Songs setzt er sich darauf mit seiner Heimat auseinander.

Hamburger Abendblatt: Auf Ihrem neuen Album geht es gleich in mehreren Songs um Hemmoor. Warum?

Thees Uhlmann: Na ja, Lieder über Drogen habe ich gehört, Lieder über Frauen, darüber wie toll es ist, die coolsten Klamotten zu haben. Und weil ich immer eine leichte Anti-Haltung habe, habe ich irgendwann beschlossen, einen Song darüber zu schreiben, wie es ist, auf dem Dorf groß zu werden. Schließlich kommen die meisten Leute vom Dorf, aber es wird fast immer nur über die Stadt gesungen.

Gab es einen bestimmten Zeitpunkt in Ihrem Leben, an dem dieser Wunsch, über das Dorf zu singen, in Ihnen gewachsen ist?

Uhlmann: Ich bin zurzeit relativ heimatlos, ich habe eine Wohnung in Hamburg und eine in Berlin. Vielleicht deswegen. Außerdem habe ich ganz viele erste Ideen für die Platte in Hemmoor gehabt. Ich bin mit meiner Tochter Lisa hingefahren und habe einfach Zeit auf dem Dorf verbracht, bei meiner Mutter. Und nachdem ich meine Tochter abends ins Bett gebracht hatte, habe ich Klavier gespielt. Ich würde sagen, 90 Prozent aller Songs haben ihre Ursprungsidee in Hemmoor am Klavier gefunden. Mir ist einfach aufgefallen, dass ich wahnsinnig gerne in Hemmoor bin. Ohne das romantisieren zu wollen. Ich frühstücke gerne mit meiner Mutter und meiner Tochter. Und das wiederum finde ich romantisch.

Das klingt, als wäre das ein neues Gefühl für Sie.

Uhlmann: Ich hab mich auch gewundert! Mit 20 wollte ich nichts mehr als weg aus Hemmoor. Und mit 37 plane ich, wann ich das nächste Mal hinfahren kann, weil es mir so viel Spaß bringt. Da kenne ich mich halt aus. Also auch in dem Sinne, dass ich weiß, wie die Leute da ticken.

Für das Video zu Ihrer ersten Single "Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf", das im Garten Ihrer Mutter gedreht wurde, kehren Sie sogar an viele Orte aus Ihrer Jugend zurück.

Uhlmann: Ich dachte wenn wir das mit Hemmoor jetzt machen, dann auch richtig. Und 35 oder 33 Jahre später jemanden an die gleiche Stelle zu stellen, ist künstlerisch einfach gut.

War Ihre Mutter gleich einverstanden?

Uhlmann: Sie vertraut mir da, würde ich sagen. Außerdem geht es hier auch um Kunst. Die Kunst ist immer größer als der Mensch. Natürlich ist das komisch, Super-8-Aufnahmen von mir und meinem Bruder zu sehen, die 30 Jahre alt sind. Aber manche Sachen müssen einfach gemacht werden. Und die Leute freuen sich über das Video. Ich habe schon E-Mails bekommen, in denen Leute schrieben, dass es bei ihnen genau so war. Genau so ein komisches Haus, genauso komische Klamotten.

Wir war es, in Hemmoor aufzuwachsen?

Uhlmann: Die Kindheit war einfach wahnsinnig unkompliziert. In den Sommerferien sind wir morgens um acht aus dem Haus und abends um acht wieder nach Hause gekommen. Dazwischen haben wir den ganzen Tag Fußball gespielt, sind durch die Wälder gezogen oder haben uns eine Schlacht mit Maiskolben geliefert. Das ist etwas, was ich meiner Tochter nicht bieten kann.

Und später, als sie anfingen, sich für Musik zu interessieren?

Uhlmann: Da haben wir total für Musik gelebt. Zwischen 13 und 16 habe ich nur Heavy Metal gehört. Natürlich hatten wir keine Möglichkeit, auf Heavy-Metal-Konzerte zu gehen. Aber immerhin durften wir in so ein Jugendzentrum im 40 Kilometer entfernten Freiburg an der Niederelbe. Da hatte jemand einen Kassettenrekorder, der ein bisschen größer war als andere Kassettenrekorder. Den haben wir in die Ecke gestellt, Metal-Mixtapes laufen lassen und gemosht. Das war so absurd, das würde Quentin Tarantino sich nicht ausdenken. Als wir dann wieder abgeholt wurden, konnten wir den Kopf nie heben, weil wir uns sämtliche Nackenmuskulatur weggemosht hatten.

In einem Song auf Ihrem Album singen Sie die Zeile "Du kriegst die Leute aus dem Dorf, aber das Dorf nicht aus den Leuten". Wird in Ihnen immer ein Stück Hemmoor bleiben?

Uhlmann: Ich werde nie ein urbaner Szene-Hipster werden. Es war und ist immer noch aufregend, in Städten zu sein. Aber die meisten Leute kommen eben nicht aus der Stadt. Und die meisten Leute sind auch nicht cool. Man merkt einfach, wo die Leute herkommen.

Woran?

Uhlmann: Bei uns auf dem Dorf war es so einsam, es gab keine Szenen. Es gab nur Leute, die sich für Musik interessierten, und Leute, die sich nicht dafür interessierten. Aber man musste miteinander auskommen, weil es auf Feten und Schulhöfen viel zu eng war, als dass man sich große Kriege hätte leisten können. Man musste einander gegenüber eine gewisse Form von Offenheit haben. Und daran erkennt man Leute vom Dorf denke ich. Vielleicht sind sie etwas ungeschickt, aber man legt nicht so viel wert darauf was man hat und was man ist.

Wenn Sie heute nach Hemmoor zurückkehren, was hat sich in Ihren Augen verändert?

Uhlmann: Ich glaube es ist ziemlich ähnlich. Was bloß heftig ist, ist wie solche Orte mit Gebäuden zugebaut werden. Es gibt in Hemmoor praktisch viermal das gleiche Shopping-Center, aber drei davon stehen leer, weil die immer wieder das gleiche Shopping-Center bauen. Das sieht wirklich dämlich aus. Ich verstehe schon, dass eine Stadt Geld verdienen muss, aber das muss doch auch anders gehen.

Wie oft kehren Sie mittlerweile nach Hemmoor zurück?

Uhlmann: Einmal im Monat. Mir ist irgendwann mal aufgefallen, dass ich in Hemmoor lieber dusche als in Berlin. Das hört sich jetzt ein bisschen blöd an. In Berlin macht mich das Wasser sauber, aber in Hemmoor trinkt mein Körper das Wasser. Wie Kings Of Leon singen: "It's in the water". Ich habe da auch keinen Zugriff drauf. Als ich 32 war, hätten wir dieses Interview niemals führen können. Und mit 37 gibt es nichts, worüber ich lieber rede.

Was ist das schönste an Hemmoor?

Uhlmann: Da ist nichts klassisch schön. Das ist ja kein Feriendorf und da gibt es auch keine Altstadt. Eigentlich gibt es da gar nichts. Aber vielleicht ist genau das das Schöne. Dass es da gar nichts gibt sondern es einfach für mich da ist.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann selbst ein Haus in Hemmoor zu kaufen?

Uhlmann: Nein, ich schnacke meiner Mutter das Haus ab und baue vorne in die Stube ein Jugendzentrum rein. Jede Ami-Band darf bei mir im Wohnzimmer spielen. Das ganze Dorf wundert sich, warum immer 50 Autos vor meiner Tür stehen und dann durchdringt infernaler Lärm das Dorf.