Seit mehr 30 Jahren nimmt die britische Band Motörhead starke Rock-'n'-Roll-Alben auf. Jetzt erscheint mit “The Wörld is yours“ schon wieder eins.

350 Konzerte hat Klaus Fabry bisher gesehen. Nicht insgesamt in seinem Leben (allein das wäre ja auch schon eine verdammte Menge), sondern von einer einzigen Band. Motörhead . Durch die ganze Welt ist er gereist, um sich von Lemmy und Co. immer wieder die Ohren durchpusten zu lassen. Schließlich lautet das Motto des britischen Trios: "Everything louder than everyone else." Ähnliche Lautstärke gibt es sonst nur auf den Start- und Landebahnen der Flughäfen.

Auch jetzt, während der laufenden Europa-Tour, ist Fabry wieder unterwegs und mit ihm viele der etwa 3000 Motörheadbangers, die im gleichnamigen Fanklub organisiert sind. Schließlich gibt es 2010 ganz besonders viel zu feiern. Lemmys 65. Geburtstag an Heiligabend zum Beispiel, das 30. Jubiläum des Albumklassikers "Ace Of Spades" - und natürlich die Veröffentlichung der neuen CD "The Wörld Is Yours", die ab kommenden Freitag zu kaufen ist.

"Für Motörhead schraub ich alles andere runter", sagt Fabry, der sein Geld als Kurierfahrer verdient und längst einen so guten Draht zu Band und Management hat, dass für ihn bei jedem Konzert ein Backstage-Pass bereitliegt. Da stört es auch nicht weiter, dass Fabry eine Tour so viel kostet "wie zwei Wochen Urlaub auf den Bahamas". Er kann nicht nachvollziehen, dass manche Kritiker der Meinung sind, bei Motörhead klinge jedes Album gleich. "Die hören nicht richtig hin." Stimmt, denn tatsächlich ist kaum ein größerer Kontrast vorstellbar als beispielsweise zwischen einer Brachialbreitseite wie "Bomber" und dem relaxten "Whorehouse Blues", als zwischen einem Gute-Laune-Kracher wie "R.A.M.O.N.E.S." und dem düsteren Antikriegssong "Orgasmatron".

Auch "The Wörld Is Yours" kommt nicht aus der Abteilung "Eine Idee, zehn Songs", sondern punktet mit feinstem Rock 'n' Roll. Endlos euphorisierend, gnadenlos geradeaus - und immer mit einer Portion dreckigem Blues in der DNA. Produziert hat Cameron Webb, der schon für die letzten drei Studioalben verantwortlich war und bekannt dafür ist, sich nicht mit Halbheiten zufriedenzugeben, sondern auch Big Names in den Hintern tritt, wenn ihm etwas nicht gefällt. An den Gerüchten über Streitereien während der Aufnahmesessions dürfte also was dran sein.

Zwar gäbe es das alles nicht ohne den Trommelstock-Derwisch Mikkey Dee und die coolen Riffs von Gitarrist Phil Campbell, doch natürlich ist es auch im 35. Bandjahr Lemmy, der mit Rickenbacker-Bass und unverkennbarer Röhrstimme klar im Mittelpunkt steht. Zwei Dokumentarfilme sind bisher über ihn gedreht worden ("Lemmy", 2002, und "Lemmy The Movie", 2010); und wenn es darum geht, der Rock-'n'-Roll-Ikone Respekt zu erweisen, stehen auch millionenschwere Superstars wie Metallica stramm.

Sehr schön beschreibt Bela B. (Die Ärzte) im Vorwort der Lemmy-Autobiografie "White Line Fever" die besondere Qualität des Mannes mit der Gesichtswarze. "Auf Lemmy kann man sich verlassen", heißt es dort, "er ist der Fels in der Brandung, der jeder neuen Welle standhält und noch da ist, wenn diese längst abgeebbt ist." Allerdings. Ob Punk, Reggae, Hip-Hop, Techno oder Grunge: An Motörhead ist in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten jeder Trend absolut spurlos vorbeigegangen. Geblieben ist Lemmys Vorliebe für gut gefüllte Gläser (Jack Daniels/Cola), Zigaretten, Spielautomaten und schöne Frauen. Legendär eine medizinische Anekdote aus den frühen Achtzigern, als ein entsetzter Arzt ihm beschied "Sie können kein Blut spenden. Vergessen Sie's. Sie würden einen Durchschnittsmenschen töten, weil Sie so toxisch sind."

"Lemmy ist immer ein Rebell geblieben", erklärt Fanklub-Leiter Alan Burridge, 59, die besondere Faszination des Rock-'n'-Roll-Urtiers. Einer, der den Marshall-Verstärker nicht runterdreht, nur weil es einem Konzertveranstalter zu laut wird. Einer, der lieber mit alten Fans um die Häuser zieht, als auch nur eine Minute auf VIP-Partys zu verbringen. Einer, der seine Wohnung in Los Angeles mit Weltkriegs-Memorabilia zustellt und sich einen Dreck darum schert, ob das politisch korrekt ist.

In den USA kommt dieser Hang zum gelebten Nonkonformismus weniger gut an, und es überrascht kaum, dass Motörhead in den Staaten nie wirklich den Durchbruch geschafft hat. Vielmehr rekrutiert sich die Masse der Fans aus Europa, und ganz besonders Deutschland, wo die Konzerthallen stets bestens gefüllt sind und es die Alben mit schöner Regelmäßigkeit in die Charts schaffen.

"Rock 'n' roll music is my religion", singt Lemmy auf dem neuen Album. Sie lasse die Lahmen wieder gehen, die Blinden wieder sehen und werde ihn auf jeden Fall bis ins Grab begleiten. Was für eine schöne Vorstellung: Lemmy, innerlich vermutlich ohnehin hochprozentig gegen jede denkbare Krankheit imprägniert, rauscht einfach auch noch über die nächsten zwölf Trends weg, nimmt jedes Jahr mit Motörhead ein neues Album auf und sorgt dafür, dass Fans wie Klaus Fabry es irgendwann auf 500 Konzerte bringen.

Motörhead: The Wörld Is Yours (EMI); www.imotorhead.com