Andreas Homoki inszeniert Wagners „Lohengrin“ in Zürich als Saga aus dem Alpendorf, Simone Young erobert das Schweizer Opernhaus mit überzeugendem Dirigat

Zürich. Die ganz schlimmen Erbsenzähler unter den Wagnerianern müssen momentan bei Pilgerfahrten in die Wagnerstadt Zürich einen weiten Bogen um das Opernhaus machen: Regisseur und Hausherr Andreas Homoki topfte dort den „Lohengrin“ aus dem belgischen Mittelalter-Brabant in ein herrgottverlassenes Alpendorf um. Alle Burschen tragen Krachlederne, und König Heinrich hat statt einer Krone auf dem Kopf den längsten Gamsbart am Hut, alle Madln tragen Dirndl und das tragisch endende Märchen des vom Gral gesandten Schwanenritters spielt in einer rustikal zurechtgezimmerten Bauernstube, in der es außer Tischen und Stühlen nur noch Bierkrüge als Mobiliar gibt.

Auf den ersten Blick wirkt das wie ein übles Sakrileg, auf den zweiten ist es eine Konzept-Idee, die Charme hat und mit ihrer radikalen Verfremdung schon wieder schlüssig ist. Denn wer so ab vom Rest der Welt ist wie diese Stadl-Brabanter, glaubt auch an Schwäne, die geheimnisvolle Ehrenretter ins Wirtshaus liefern, weil es dort nach zünftiger Schlägerei riecht. Dieser Lohengrin liegt auf einmal da, als Fremdkörper auf den Bühnenbrettern, nur im weißen Büßerhemd, zitternd und kraftlos, als wäre er gerade frisch geboren. Erst Elsas Begrüßungskuss bringt ihn wieder auf die Beine, und von da an geht’s aber leider auch schon steil bergab mit der Romanze.

„Es gibt ein Glück“, dieses Zitat von Elsa unter zwei in Liebe entflammten Herzen hat sich Homoki von seinem Bühnenbildner Wolfgang Gussmann auf den Bühnen-Vorhang malen lassen, naiv und farbprall wie von einem oberbayerischen Bauernschrank kopiert. Dass es auf dieser Alm wirklich koa Sünd net gibt, das braucht man allerdings nicht zu glauben, denn über diesen Herzen braut sich mächtig Finsteres zusammen.

Den herzigen Poesiealbum-Satz „Es gibt ein Glück“ würde Simone Young nach der Premiere am Sonntag wohl ohne Weiteres unterschreiben, denn ihr Schweizer Auswärtsspiel wurde mit einer verdienten Begeisterung ohne Wenn und Aber gefeiert, die der Hamburger Noch-Opernchefin zu Hause in letzter Zeit nicht oft vergönnt war.

Obwohl Young in diesem Opernhaus, das mit seiner Zuckerbäcker-Architektur wie eine Miniaturausgabe des Hamburger Schauspielhauses wirkt, stellenweise Mühe hatte, die sehr direkte Akustik nicht ins Rumpelnde rutschen zu lassen, blieb sie ihrem Ruf als Ausdrucksdirigentin treu und modellierte einen süffigen Wagner-Klang, der dem romantischen Überschwang bestens gerecht wurde. Wie subtil sie im Vorspiel mit den ätherischen Klangfarben umging und eine zerbrechliche Schicht nach der anderen auftrug, das hatte schon seine Art und setzte sich ohne unnötigen Nachdruck bis ins Finale konsequent fort, in dem Homoki Elsas tot geglaubten Gottfried ebenso wie anfangs Lohengrin aus dem Nichts und im Hemd auftauchen lässt.

Mit Klaus Florian Vogt in der Titelpartie – darunter macht es ein derart solventes Haus wie Zürich nicht – war der Lohengrin vom Dienst zur Stelle und lieferte auf bewährt hohem Niveau. Sein hell strahlender Tenor, diese fast noch kindlich naive Stimme, macht aus ihm immer wieder ein Ereignis. Der Rest des Ensembles war dennoch kein Rest, sondern ein Cast, dem man sehr gern vier Stunden lang zuhören mag: Petra Lang als gallefiese Ortrud, Elza van den Heever gab ihrer Elsa die anrührende Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung, Martin Gantners Telramund räumte im Schurkenfach ab. Auch der Opernchor entsprach den Erwartungen, die man an dieser Adresse haben darf. Die Einzigen, bei denen sich das Premierenpublikum an Ende eines kurzweiligen Abends lautstark uneins blieben, waren Homoki und sein Regieteam.

Dass diese Zusammenarbeit von Young und Homoki so gut funktionierte, lässt aus Hamburger Perspektive für November hoffen. Dann revanchiert sich die Intendantin, die ihn bereits für einen „Faust“ mit Cornelius Meister geholt hatte, für das Dirigat-Engagement mit einer weiteren Gegeneinladung: Gemeinsam bringen sie Verdis „Kabale und Liebe“-Vertonung „Luisa Miller“ neu auf die Bühne, bleiben also im Themen-Spannungsfeld aus Wollen, Lieben, Dürfen und Müssen. Und auch die Philharmoniker-Chefin und der ehemalige Philharmoniker-Hornist Vogt sind demnächst im hiesigen Spielplan vereint, für Korngolds Geheimtipp-Meisterwerk „Die tote Stadt“ im März 2015. Und überhaupt, wer weiß: Homoki hat kürzlich in Zürich bis 2022 verlängert. Es gäbe für Youngs Nach-Hamburger Zeit weniger prestigeträchtige Häuser als dieses, um sich als Frau ohne Schatten auf dem Lebenslauf wieder neu zu profilieren.