Tanz die Kammermusik: Ein Kommentar von Tom R. Schulz

Ebenso wenig, wie der Tag vor dem Abend gelobt werden soll, darf man ihn nach den ersten Morgenstunden aburteilen. Insofern sei die Möglichkeit unbestritten, dass sich im Programm der Sommerlichen Musiktage Hitzacker, nur eine gute Autostunde vor den Toren Hamburgs, im Verlauf der kommenden Woche noch alles zum Leichten, Beschwingten wendet, zu jenem gelösten „Tanz!“, der diesmal das Motto des Festivals bildet. Doch der Anfang geriet verblüffend schwer.

Dagegen wäre überhaupt nichts zu sagen, würde die Losung nicht etwas anderes suggerieren. Kammermusik ist Musik in ihrer am stärksten verdichteten Form, sie darf dem Hörer unbedingt eine geistige Anstrengung abverlangen, weil sie ihn dafür in aller Regel mit Essenziellem im Geistig-Seelischen und mit der Erweiterung seines Horizonts belohnt.

Aber wo, bitte schön, ist etwa in einem derart weltabgewandt wirkenden Stück wie Ernst Kreneks Cellosuite „Alles Walzer“, so wie der Titel am Sonntagvormittag hieß, außer vielleicht gelegentlich in der fürs Ohr kaum wahrnehmbaren Taktart, wo in der bezaubernd traurigen, fragilen „Romanza“ aus Francis Poulencs Klarinettensonate B-Dur? Eine Kunst, in der das Gewicht jeder Note zählt, die Tiefe und Subtilität des Klangs, reagiert empfindlich auf vermeintlich flotte Losungen wie „Tanz!“. Hitzacker bietet auch Tango, eine Ballettvorstellung und einen weiblichen DJ im Programm. Aber wer Karpfen grün verkauft, darf damit nicht die Petersilie in seinem Maul meinen.