Das Experiment mit einem anonymen Förderbeauftragten ist geglückt und wird fortgesetzt. Im Interview zieht der Spender Bilanz

Hamburg. Man durfte die Idee der Kulturbehörde, statt den sonst üblichen Jurys und Wahlgremien einen „Kunstbeutelträger“ mit dem Thema Kunstförderung zu beauftragen, unbedingt eine Überraschung nennen: Schließlich vertraute die Stadt vergangenes Jahr damit einem namentlich nicht in Erscheinung tretenden Kunstkenner 40.000 Euro an, die er nach eigenem Gutdünken an Künstler, Kuratoren oder Kunstinstitutionen verteilen durfte. Der Anonymus war viele Monate im Kunstbetrieb unterwegs und zückte seinen Geldbeutel – im übertragenen Sinne, denn zu erkennen gab er sich nie, auch nicht bei diesem Interview.

Hamburger Abendblatt:

Als Kunstbeutelträger waren Sie mehrere Monate in der Hamburger Kunstszene unterwegs. Wie steht es denn um den kreativen Output in dieser Stadt?

Anonymus:

Es passiert viel, aber für eine Millionenmetropole darf ruhig noch mehr passieren. Derzeit etablieren sich ein paar ganz interessante neue Formate, wie die P/Art, die Stadtkuratorin und auch der Kunstbeutel. Es gibt vielversprechende Künstlergruppen und Bewegungen. Es gibt interessante junge Künstler, die absolut auf der Höhe der Zeit arbeiten. Die gute Hochschule trägt ihren Teil dazu bei. Doch viele zieht es nach ihrem Studium Richtung Berlin. Es gibt hier wenig Aufmerksamkeit für Künstler mittleren Alters, da wird es in Hamburg dann schnell miefig. Generell ist das Publikum hier ein bisschen zu schnell mit sich und der Kunst zufrieden. Oft hat man gar nicht den Anspruch an aktuellen, überregionalen Entwicklungen teilzuhaben.

Als Flaneur durch die Galerien haben Sie nun einen guten Blick auf das Gebotene. Ist Ihnen etwas aufgefallen, das Ihrer Meinung in Hamburgs Ausstellungsräumen besonders gut gemacht wird – oder eben gerade nicht?

Anonymus:

Von der Galerienszene bin ich gleichermaßen positiv wie negativ überrascht. Bevor ich mir als Kunstbeutelträger die Galerien auch im Detail angeschaut habe, war mir nicht bewusst, wie viele erstklassige Galerien für Gegenwartskunst es hier gibt. Zumindest auf dem Papier. Denn meine Erfahrung ist auch, dass sich die Galerien bei ihren Ausstellungen in Hamburg, bei der Präsentation und ihrem Erscheinungsbild nach außen unter Niveau verkaufen. Auch da gibt es noch zu viel Selbstzufriedenheit.

Sie haben 40.000 Euro verteilt. In welchen Margen?

Anonymus:

Ich habe mich zu Beginn entschieden, in kleineren Margen zu verteilen. Wenn man mit der Gesamtmenge reell etwas bewegen will, könnte man nur zwei oder drei Projekte unterstützen. Ich dachte aber, es wäre sinnvoller, auf möglichst viele und unterschiedliche Künstler und Initiativen aufmerksam zu machen.

Gaben Sie sich bei der Prämierung zu erkennen?

Anonymus:

Ich habe mich nie zu erkennen gegeben. Das hätte ich merkwürdig gefunden und riskant außerdem. Wer das Geld verteilt hat, wissen in Hamburg nur zwei Personen. So soll es auch erst mal bleiben.

Mindestens indirekt dürften Ihnen die Reaktionen der Szene auf dieses Projekt nicht verborgen geblieben sein. Wie fielen die insgesamt aus?

Anonymus:

Klar wurde auch in meinem Umfeld über den Kunstbeutel gesprochen, aber man kann sich vielleicht vorstellen, dass ich das Thema generell gemieden habe. Ich bin nämlich ein schlechter Lügner. Von dem, was ich mitbekommen habe, ist das Projekt sehr positiv aufgenommen worden. Auf der Internetseite des Kunstbeutels gab es teilweise sehr euphorische Kommentare, aber auch hitzige und kritische Stimmen auf Facebook. Die betrafen dann einzelne Entscheidungen. Aber ich sehe auch das als Erfolg, denn es ist ja ein erklärtes Ziel des Kunstbeutels, Diskussionen über Kunst anzuregen.

Warum ist der Kunststandort Hamburg weniger vital als der in Berlin?

Anonymus:

In Hamburg wird gerne alles geplant. Eine lebendige Kunstszene entsteht aber nicht auf dem Reißbrett. Manchmal ist eine bestimmte Kneipe für die Entstehung einer Bewegung entscheidender als ein Stipendienprogramm. Künstler brauchen keine Formatvorgaben, das Publikum will ja auch keine Kunst auf Bestellung. Künstler geben sich ihre Aufträge selbst und suchen sich ihre eigenen Orte. Manchmal ist es wichtiger, eine kulturelle Sensibilität für diese Orte zu entwickeln und sie zu unterstützen als peppige Programme aufzusetzen, die ernst zu nehmende Künstler sowieso eher abschrecken. Berlin hat den Vorteil, dass es noch viele unformatierte Orte gibt, ein lebendiges Umfeld aus Theoretikern, Kunstmagazinen und Projekträumen. Zudem ist Berlin international geworden. In der Kunstszene spricht man dort mehr englisch als deutsch. Ich weiß nicht, ob Hamburg dem nacheifern muss. Vielleicht wäre es interessanter, wenn sich hier etwas Eigenes entwickelt. Aber dabei sollten wir unseren Anspruch ruhig mal höher schrauben.