Die von Fusion bedrohten SWR Sinfoniker bewiesen mit einem grandiosen Konzert zum Abschluss der „Greatest Hits“ auf Kampnagel ihre Unersetzlichkeit

Hamburg. Das große Abschlusskonzert des Festivals „Greatest Hits“ auf Kampnagel am Sonntag war ein Pflichttermin für alle, die sich auch nur am Rande für neu komponierte Orchestermusik interessieren. Denn das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (SO), das den Abend gestaltete, ist nicht nur das weltweit kompetenteste Groß-Ensemble für Werke, bei denen das Notenpapier gewissermaßen noch warm vom Drucker der Komponisten auf die Pulte der Musiker gelangt. Es sieht auch mit Entsetzen seiner angekündigten Auslöschung entgegen, die der Rundfunkrat des SWR auf Betreiben des SWR-Intendanten Peter Boudgoust beschlossen hat. 2016 soll das Spezialensemble mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart (RSO) zusammengelegt und in Stuttgart angesiedelt werden – in makabrem Timing fiele der dann zu feiernde 70. Geburtstag des SO in sein Todesjahr.

Welch unersetzlicher Verlust da droht, war in drei gleichermaßen exemplarischen Aufführungen zu erleben. Bereits bei „Alax“ von Iannis Xenakis, einer enorm verdichteten Komposition für drei weit voneinander im riesigen Bühnenraum platzierte, identisch besetzte Tentette, bewiesen die Musiker ihre herausragende Präzision und Vertrautheit im Umgang mit erweiterten Spieltechniken auf ihren Instrumenten.

Zu einer phänomenalen Klangerfahrung wurde anschließend „limited approximations“ (2010) des Residenz-Komponisten von „Greatest Hits“, des Österreichers Georg Friedrich Haas. Die Bühnenmitte beherrschten sechs ihres Deckels entkleidete Flügel, deren Stimmung jeweils um einen Zwölftelton voneinander abwich. Die Differenz zwischen demselben Ton, angeschlagen auf dem am tiefsten und dem am höchsten gestimmten Instrument, lag also bei einem Halbton. Die Einzeltöne, Cluster und Arpeggien aus den dazwischenliegenden Mikrointervallen summierten sich zu einem atemberaubend differenzierten, obertonreichen Mischklang. Derart vervielfacht und mikroskopisch aufgespalten, wurde das zum Glissando naturgemäß unfähige Klavier zu einer gigantischen, kollektiv bedienten Zaubermaschine gleitender, schwebender, schwankender Riesenklänge. Wie sich dieses für sich schon unvergessliche akustische Ballungsgebiet dann noch mit den Farben und Impulsen des groß besetzten Sinfonieorchesters mischte, schien es manchmal, als schlüge der Allmächtige persönlich den Weltengong. Doch was in den schwarzen Raum aufstieg, war augenscheinlich nichts anderes als menschengemachte Musik. Ein kathartisches Erlebnis.

Was konnte danach noch kommen – und auch nur ansatzweise den sublimen Klangrausch dieses Trips verlängern helfen? Der vorzügliche Chefdirigent François-Xavier Roth und sein Orchester setzten ausgerechnet auf einen echten Greatest Hit, Igor Strawinskys „Sacre“, den im 100. Jahr seiner berühmt-berüchtigten Uraufführung wohl jedes halbwegs ambitionierte Orchester einstudiert hat. Doch auch hier gelang dem SO Unerhörtes, Maßstäbe Setzendes. Statt sich in die Phalanx der fiebrig-lauten „Sacre“-Überwältigungsexekutoren einzureihen, nahmen Roth und seine Leute die Partitur kammermusikalisch. Mit der Ruhe wahrer Könner spielten sie so transparent, dass sich Hören und Schauen zu einer Art angewandtem Partiturlesekurs verbanden.

Am Revers trugen viele der Instrumentalisten und auch Roth einen Button wie in alten Anti-Atom-Tagen: „Unser SO bleibt hier“ steht darauf. Mit „hier“ ist Freiburg gemeint. Wir hätten sie auch glatt hier in Hamburg behalten.