Ein Gesundheitszeugnis von Tom R. Schulz

Es ist eine Eins-a-Steilvorlage für alle Wagnerfeinde, wenn bei einer so ehrgeizig-verrückten Unternehmung wie dem Wagner-Wahn an der Hamburgischen Staatsoper gleich in der ersten Vorstellung der Sänger der Titelpartie die Segel streichen muss, nicht wegen Magenverstimmung oder Migräne, sondern infolge einer nicht näher ausgeführten „allergischen Reaktion“. Für impulsive Körperabwehr im Fall Wagner haben die Verächter des Monomanen von Bayreuth jede Menge Mitgefühl. Sie kriegen ja selbst Pickel beim bisweilen aus zehn Trompeten zugleich schmetternden Wagner-Gedröhn.

Doch war Wagner überhaupt Monomane? Bernd Oberhoff, der dem schönen Beruf des Musikpsychoanalytikers nachgeht, behauptet in einem kürzlich erschienenen Buch, Wagner sei ein Muttersöhnchen gewesen und habe vor seiner Cosima gekuscht. In deren Tagebüchern finden sich dafür zwar keine Belege. Aber einer ideologisch verkorksten Gestalt wie Richard Wagner ein Steckengebliebensein in der analen Phase oder Kastrationsängste zu attestieren kann nicht schaden. Wagners Werk als Wimmelbild voll sexueller Konnotationen? Jeder Historiker und Theologe kommt bei der Wagner-Exegese zu Ergebnissen, die er für schlüssig hält. Ein Musikpsychoanalytiker erst recht. Nur Wagnerianer kann er damit nicht schocken. Nicht mal allergisch.