Die Autorin, die 20 Jahre mit Rudolf Augstein verheiratet war, spricht im Abendblatt über die Zukunft des renommierten Nachrichtenmagazins und die Rolle von Jakob Augstein.

Hamburg. Knapp 25 Jahre lebte die Autorin Gisela Stelly an der Seite von Rudolf Augstein, 20 Jahre war sie mit ihm verheiratet. In dieser Zeit verschenkte der „Spiegel“-Gründer die Hälfte seines Unternehmens an die Mitarbeiter, eine in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige unternehmerische Tat, an der Stelly ursächlich mitgewirkt hat. Stelly war Augsteins vierte Ehefrau, ist die Mutter des gemeinsamen Sohnes Julian, der mit seinen Halbgeschwistern Maria-Sabine, Franziska und Jakob, dem Sohn Martin Walsers, die Erbengemeinschaft bildet, die 24 Prozent am „Spiegel“ hält. Gisela Stelly, die 2012 ihren Roman „Goldmacher“ veröffentlichte, der „zweifelsohne am Leben Rudolf Augsteins entlang geschrieben“ war, wie sie dem Abendblatt sagte, sorgt sich derzeit um die Zukunft des Nachrichtenmagazins und um das Vermächtnis ihres Ex-Mannes.

Hamburger Abendblatt: Sie haben rein juristisch nichts mehr mit dem „Spiegel“ zu tun. Weshalb sorgen Sie sich?
Gisela Stelly: Es gibt das Vermächtnis und das Erbe von Rudolf Augstein, das sind zwei verschiedene Dinge. Er hat 1974 die Hälfte seines Unternehmens an die Mitarbeiter verschenkt. Das ist historisch einmalig. Heute wird daran kritisiert, dass die Mitarbeiter sich ihren Chef selbst aussuchen dürfen und so viel Mitspracherecht haben. Das war bereits zu früheren Zeiten, als Rudolf Augstein noch lebte, ein großes Privileg, ist es aber heute noch viel mehr. Dieses Erbe ist das Erbe eines Jahrhundertjournalisten. All das hat den „Spiegel“ ausgemacht. Das gilt es zu bewahren. Es steht momentan eine Menge auf dem Spiel. Ich habe kürzlich eine Bemerkung gehört, die heißt, „Was Adenauer und Strauß nicht gelungen ist, nämlich den ,Spiegel‘ zu zerstören, das könnte jetzt der Mitarbeiter KG gelingen“. Auch wenn ich mich dieser Aussage in gar keiner Weise anschließen möchte, so bin ich darüber doch sehr besorgt, weil „Der Spiegel“ lange Zeit Teil meines Lebens war und meine Beziehung zu Rudolf Augstein bis zum Schluss konstant war. Es wäre sehr schmerzvoll für mich, sein Vermächtnis, das außergewöhnliche Werk, das er geschaffen hat, beschädigt zu sehen. Ich wünsche mir sehr, dass es in seiner Strahlkraft erhalten bleibt.

Wo liegt das Problem?
Stelly: Wenn die Spitze wechselt, gibt es immer und überall die gleichen Probleme. Beim „Spiegel“ kommt aber wohl hinzu, dass die Mitarbeiter, die beschenkt worden sind, sich nicht wirklich unternehmerisch verhalten oder verhalten können. Schon Rudolf Augstein wollte ja, dass Gruner + Jahr die unternehmerischen Entscheidungen fällt. Ich sehe das so, dass von dort jetzt die richtigen Entscheidungen kommen müssen. Momentan kämpfen alle Medien mit der Frage, wie es zukünftig weitergehen soll mit Print und Online, auch das Fernsehen. Die Situation ist durch die Digitalisierung für alle dramatisch. Man muss also besonders sorgfältig abwägen, wen man sich an die Spitze holt. Hausinterne, kleinliche Gruppenabsprachen, ein „Gibst du mir dies, bekommst du das“ sind dazu absolut ungeeignet. Hier ist ein großer Blick gefragt. Rudolf Augstein hatte Stefan Aust als letzten Chefredakteur eingesetzt, er hat das Blatt samt Fernsehen und Online 13 Jahre erfolgreich und mit Weitblick geführt. Auch sehr profitabel. Ich bin mir sicher, dass er die richtigen Leute zusammenhalten würde. Er ist ein Macher, in jeder Beziehung. Der „Spiegel“ hat viele hervorragende Leute, aber man braucht jemanden, der die richtigen Entscheidungen trifft.

Aber man hat ihn 2008 abgelöst.
Stelly: Mein Rat ist, der „Spiegel“ sollte jetzt über seinen Schatten springen und Stefan Aust, zumindest für eine Übergangszeit, noch mal holen. Er hat „Spiegel-TV“ groß gemacht, er hat zukunftsträchtige Ideen für alle Medien. Er hat eben nicht nur sein Gesicht im Fernsehen gezeigt, er hat Fernsehen gemacht. Das ist ein großer Unterschied.

Es heißt, die finanziellen Ressourcen seien knapper geworden, der Umzug war, die Mieten sind teuer, „Spiegel-TV“ wird unwichtiger. Wer kann das Blatt jetzt zum Guten wenden?
Stelly: Jetzt ist Gruner + Jahr als Unternehmer gefragt, namentlich die Vorsitzende Julia Jäkel. Sie ist ja erst seit zwei Wochen Vorstandsvorsitzende und muss sich in die Interna beim „Spiegel“ wahrscheinlich noch einarbeiten. Aber sie hat das Vetorecht. Es hängt jetzt alles von ihr ab. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass die „Spiegel“-Chefredaktion und zwei Vorstände bei Gruner + Jahr gleichzeitig abberufen wurden.

Die Erbengemeinschaft hält 24 Prozent und hat kein Stimmrecht.
Stelly: Franziska Augstein hat bei der Trauerfeier zum Tode ihres Vaters ein sehr beachtetes Bild geprägt, das hieß, „Erst dem toten Löwen zupfen die Hasen an der Mähne“. Aus heutiger Sicht war das geradezu weitsichtig. Die unprofessionelle Ablösung von Stefan Aust hat sehr viel Schaden angerichtet, im Falle der Ablösung Mascolos und von Blumencrons lief es jetzt ähnlich und, was das Schlimmste ist, Jakob hat sich 2010 als Sohn Martin Walsers geoutet. Dazu gab es keinerlei Gespräche innerhalb meiner Familie. Zu Lebzeiten von Rudolf Augstein ist ihm niemals gesagt worden, dass Jakob nicht sein Sohn ist. Er ist selbstverständlich davon ausgegangen, hat aus diesem Grund die Mutter von Jakob ein Jahr nach dessen Geburt 1968 geheiratet und später um das Sorgerecht für seinen Sohn gekämpft. Warum hätte er das für den Sohn eines anderen tun sollen? Mich hat dieses Outing ziemlich entsetzt. Ich habe Rudolf Augstein 1967 kennen gelernt und Jakob war über viele Jahre mein Stiefsohn, jetzt wird er plötzlich als Stiefsohn von Rudolf Augstein bezeichnet. Der hat aber Jakob zum Sprecher der Erbengemeinschaft gemacht, weil er sein Sohn war. Nun liegt der Fall offenbar anders. Ganz sicher hätte er nicht den Sohn von Martin Walser zum Sprecher der Erben bestimmt. Auch diese innerfamiliäre Verwirrung ist nicht gut für den „Spiegel“. Was besonders seltsam ist, dass Jakob nun, nach seinem Outing, weiterhin die Vertretung der Erbengemeinschaft beansprucht. Es wäre besser, wenn Franziska, die leibliche Tochter Rudolf Augsteins, Sprecherin der Erbengemeinschaft würde. Das würde Rudolf Augstein mit dem Wissen von heute ganz gewiss so entscheiden.

Es heißt, Rudolf Augstein und Martin Walser seien Freunde gewesen, und alles sei im Einvernehmen geschehen.
Stelly: Das ist vollkommener Unsinn. Weder Jakobs Mutter noch Martin Walser haben Rudolf Augstein jemals darüber informiert, dass Jakob nicht sein Sohn ist. Keiner hat je mit ihm darüber gesprochen. Und auch nicht mit mir. Zwischen Rudolf Augstein und Walser bestand keine Freundschaft, die hat es zwischen der Mutter von Jakob und Walser gegeben. In den mehr als 20 Jahren, in denen mein Mann und ich zusammengelebt haben, war Walser kein einziges Mal bei uns zu Hause zu Besuch. Wir haben ihn einmal getroffen, in Hamburg im Hotel Smolka. Und natürlich gab es keine Absprache, einen gemeinsamen Sohn in „Vätergemeinschaft“ großzuziehen, wie es in den Medien interpretiert wurde, da haben nicht zwei Männer eine Vaterschaft geheim gehalten, allenfalls Walser und Maria Augstein, Jakobs Mutter.

Jakob Augstein beim „Spiegel“, wäre das denkbar?
Stelly: Jakob trägt weiterhin den Namen Augstein, hat ihn sich geradezu zur Marke gemacht. So steht zwar Augstein draußen drauf, ist aber nicht drin. „Im Zweifel links“ war Rudolf Augsteins Markenspruch. Diese Marke ist vom Sohn, der kein Sohn ist, einfach übernommen worden. Der „Spiegel“ täte gut daran, die Herausgeberschaft weiter im Geiste von Rudolf Augstein zu belassen, der ein Jahrhundertjournalist war, auch um sich immer wieder an diese hohe Messlatte zu erinnern.