Die Hamburger Autorin Tina Uebel über ihren neuen Reisebericht “Nordwestpassage für dreizehn Arglose und einen Joghurt“.

Hamburg. Die Reiseleidenschaft, sagt Tina Uebel, war vor dem Schreiben da. Man kann also nicht sagen, dass sie reist, nur um anschließend darüber zu schreiben. Sie hat aber wahrscheinlich noch nie die Tastatur abgestöpselt und gesagt: Nie wieder Literatur. Beim Segeln war das anders, nach den ersten Törns mit dem Vater war sich die Hamburgerin sicher, dass sie nie wieder ein Segelschiff betreten würde. Was Uebel dann doch tat, immer wieder. Über einer ihrer Segelfahrten hat sie jetzt ein sehr lesenswertes Buch geschrieben.

"Nordwestpassage für dreizehn Arglose und einen Joghurt" ist der Reisebericht betitelt. Was zunächst mal darauf hinweist, das neben den Hobbyabenteurern, die auf der "Santa Maria Australis" an den arktischen Küsten Nordamerikas entlangfahren, auch ein von Uebel selbst angesetzter Joghurt mit auf Tour ist. Es ist ein komisches Buch, selbstironisch und launig geschrieben, aber mit dem Befahren des mythischen Seewegs, der Atlantik und den Pazifik verbindet, war es der Schriftstellerin aus St. Pauli ernst. Vor ein paar Jahren war sie schon mal dort gewesen, da oben am Rand der Welt. Am 25. Juli 2011 geht sie auf eine dreimonatige Reise. In rauen Gewässern warten Eisberge, die es zu umschiffen gilt - "Fehler wirst du da unter Umständen mit dem Leben bezahlen", sagt Uebel.

Im Preis inbegriffen sind Abenteuer, Selbstüberwindung, Entdeckerfieber und Landgang - auch auf die Baffin-Inseln, die zu Kanada gehören und von Inuit bewohnt werden. Launisch schreibt Uebel auf, was man auf den Polarinseln so erlebt und an anderen Orten, die Kälte im Namen tragen: Grönland, Alaska, Beringsee. Die Inseln sind von eher karger Schönheit. Uebel, gerade mit dem Fichte-Preis ausgezeichnet, marschiert auf ihnen herum. Manchmal fragt sie sich, ob dort schon mal jemand unterwegs war (wahrscheinlich ja), ihre Haltung erklärt sie so: "Es gehört zum Allerbesten, was ich kenne: Wo zu sein, wo noch niemand war."

Sie ist dafür zu spät geboren, schade eigentlich. Die großen Seefahrer, Forscher und Polarentdecker, ob sie scheiterten oder nicht, heißen James Cook oder Roald Amundsen (erste komplette Durchfahrt der Nordwestpassage: 1903 -1906!), und Uebel ist auch ein großer Fan des Expeditionsleiters Ernest Shackleton. Sie zitiert die Genannten ausführlich in ihrem Reisebericht.

Auf den Spuren der großen Entdecker reisen, das kann man eine Passion nennen. Oder wie Uebel: ein "Polarproblem". Das wiederum kann man lösen: indem man eine Reisegruppe findet, die gleichzeitig Selbsthilfegruppe ist, diese augenzwinkernd "Anonyme AntArktiker" nennt und rausgeht in die weißen Welten. Uebel ist mit einem Eisbrecher halb um die Antarktis gefahren, sie hat in Nordgrönland eine Hundeschlittenreise unternommen, in der Frobisher Bay ein Polartraining absolviert, war bei den Rentiersamen in der skandinavischen Arktis, hat mit "Horror Vacui" einen Antarktisroman geschrieben.

Man darf also sagen, dass ihr Nordwestpassagenvorhaben niemanden ernsthaft überrascht hat. Uebel, 1969 in Hamburg geboren und in Volksdorf aufgewachsen, hat in der kleinen, journalistischen Form schon öfter über ihre Reisen geschrieben; "Nordwestpassage" ist ihr erstes richtiges Reisebuch. Es folgt auf den von allerlei Aufregung begleiteten Roman "Last Exit Volksdorf" (eine einstweilige Verfügung gegen die Weiterverbreitung machte einen veränderten Neudruck notwendig), der Uebel "nahe an den Nervenzusammenbruch" brachte - damals war der Trip in den Norden der Welt wie eine Befreiung. Oder in Uebels Worten: "Für ein paar Wochen merkt man beim Segeln im Polarmeer, was richtige Probleme sind."

Sowohl in ihrem Buch als auch beim Interview benutzt Uebel gerne das Wort "intensiv", und man glaubt ihr gerne, wenn sie erzählt, dass nirgends eine dermaßen "komprimierte Intensität" herrscht wie auf einem 20 Meter langen Segelboot, wo etwa ein Dutzend Gleichgesinnte, die eigentlich ganz normalen Berufen nachgehen, durch Kälte und Eis navigieren.

Wie ihre Reisekumpane - außer einer weiteren Frau nur Männer - lernt Uebel die Reduktion aufs Wesentliche schätzen. Kein Konsummüll mehr wie auf der Reeperbahn, wo Uebel lebt, sondern ein einziges fantastisches Pils auf Achterdeck nach einem Landgang. Das beste Bier ihres Lebens, sagt Uebel.

Naturerfahrung, Zivilisationsflucht - "Nordwestpassage"-Leser dürften irgendwann unruhig werden in der behaglichen Studierecke. Wirklich nicht mal raus, die Nase in den Wind halten, und wenn's nur an der Nordsee ist? Dass sie in Ichform schreiben musste, gefällt ihr nicht so: Sie sei zu schüchtern, "und eigene Gedanken auszubreiten kostet mich viel Überwindung". Was man dem Buch nicht anmerkt. "Nordwestpassage" ist vergnüglich und kenntnisreich geschrieben.

Tina Uebel: "Nordwestpassage für dreizehn Arglose und einen Joghurt"; C.H. Beck. 400 S., 19,95 Euro. Lesungen: 19.4. im Planetarium, 10.5. bei Cohen + Dobernigg