In seinem neuen meisterhaften Comic “Vakuum“ erzählt der Hamburger Zeichner Lukas Jüliger von den Rätseln der Jugend.

Hamburg. Die Jugend ist eine magische Zeit, eine kostbare dazu - leider merkt man das erst, wenn man erwachsen ist. Die Jugend ist aber auch die Zeit der ersten Verluste, manchmal gar dramatischer Vorkommnisse. Zum Beispiel kann einem der beste Freund plötzlich abhanden kommen, weil er sich in seine eigene Welt verabschiedet, zu der niemand Zutritt hat. Und man kann eine so niedliche wie seltsame Frau treffen, die einen um den Verstand bringt. Man kann in einem heißen Sommer damit konfrontiert sein, dass diese Frau, in die man sehr verliebt ist, immer stiften geht, wenn es am schönsten ist. Man kann in einem Kaff leben, in dem ein anderes Mädchen, die heißeste Braut der Schule, missbraucht wird, und in dem sich der Schänder, ein Mitschüler, nach der Tat umbringt. Man kann morgens in die Schule gehen, und dann gibt es noch mehr Tote, weil da plötzlich einer mit einem Gewehr steht.

Genau so ist das in Lukas Jüligers Graphic Novel "Vakuum", die gerade erschienen und eine durchweg gelungene Arbeit ist. Jüliger, Jahrgang 1988, besucht derzeit die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, "Vakuum" ist sein erstes Buch. Eine Coming-of-Age-Geschichte klassischer Art - und ein abermaliger Beweis dafür, dass dieses Genre in der Comic-Literatur zu neuer Blüte gereift ist.

"Die Geschichte war schon lange in mir, konkret wurde sie aber erst im Schreibprozess", berichtet der gebürtige Rheinländer, der in Altona lebt und arbeitet. Jüliger hat mehr als zwei Jahre an seinem Debüt gefeilt, und das hat sich sehr gelohnt. Denn "Vakuum" ist eine wunderbar gezeichnete Bildgeschichte, die in der Farbgebung eher düster ist und eine zurückhaltende Blässe der knallen Grellheit vorzieht.

Jüliger sagt, und das ist nicht arrogant, sondern auf entwaffnende Art sympathisch, dass er keine zeichnerischen Vorbilder, sondern früher vor allem "Tim und Struppi" gelesen habe - es gibt schlechtere Bezugspunkte, keine Frage. Das Zeichnen, die Bildkomposition: All das ist ihm nicht schwergefallen. Aber das Erzählen und Texten, das Schreiben einer Geschichte? Das sei eine große Anstrengung gewesen, sagt er. Weil Illustratoren beim Zeichnen eines Comics auch literarische Regeln befolgen müssen - was Storytelling, Leitmotive und Spannungsbögen angeht. Eine Graphic Novel ist in ihrer schieren Länge anstrengend - und Jüliger entsprechend geschafft. Mit dem Studium hatte er zuletzt ausgesetzt, um "Vakuum" zu zeichnen; das Debüt als herkulische Tat, so soll es sein.

Denn der Comic ist ein kleines Kunstwerk geworden, in dem erzählt wird, wie ein dunkles Verhängnis über das Leben dreier normaler Teenager (was immer das ist) hereinbricht. Die Geschichte ist durchwoben von surrealistischen Elementen, aber eine Urangst der Heranwachsenden ist ganz real: zu werden wie die eigenen Eltern. Jüliger zeichnet das ganz hinreißend, den Spieleabend der Eltern mit dem befreundeten Elternpaar. "Spätabends sind dann alle betrunken und lachen über Scheiße, die nicht lustig ist" - und sitzen auf spießigen Sofas, mit den Knöcheln in einer Säure, die alles wegätzt, was aufregend und verheißungsvoll ist im Leben. Später greift der Autor das Motiv des nach den Vorkommnissen in den USA gerade wieder aktuellen Schulmassakers auf. Die Nachtseite des Jungseins: Langeweile, Leere und Hass; sie schlägt in "Vakuum" in Vernichtungsfantasien und Zerstörung um.

Columbine, Erfurt - die Orte des Unfassbaren erinnert Jüliger aus seiner Jugend. Und die morbide Faszination am Untergang ist ihm noch gewärtig. Sie ist auch den Figuren seines Comics nicht fremd, sie finden in einem seltsamen Wohnwagen im Wald Trost. Dort ist ein geheimes Loch, in dem man durch Handauflegen in einen Rausch gerät, aber auch zum Junkie wird.

Denn die guten Gefühle machen süchtig. Und wenn man sie nicht dauerhaft konservieren kann, ist es dann nicht besser, ganz zu gehen?

Nein, ein fröhlicher Comic ist "Vakuum" nicht. Eher der Gegenentwurf zu all den Superman-Heldengeschichten. Jüliger hat, so erzählt er es, seit zwei Jahren kein Buch mehr gelesen, "ich war nur mit dem Comic beschäftigt". Jetzt liest er wieder, und zwar Murakami, aber seine jugendliche Begeisterung für die Existenzialisten Camus und Sartre liest man in "Vakuum" noch mit. Jüligers Debüt ist eine dunkle Reise in die Vergangenheit, die mit enormer Suggestivkraft die Rätsel und Wirrnisse der Jugend durcharbeitet.

Dass Graphic Novels sich zusehends großer Beliebtheit in Klassenzimmern erfreuen, verwundert ja gar nicht - ein Trick der Lehrer, Literatur für Schüler interessant zu machen. Noch besser als Klassiker wie "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" im Französischunterricht sind die Comic-Entwicklungsromane wie "Vakuum", denn sie spiegeln das Lebensgefühl der Jugendlichen - und sind Identifikationsmodelle für junge Leser, auch gerade dann, wenn es um Teenage Angst geht, wie im Englischen die emotionale Notsituation Pubertierender genannt wird. Lukas Jüligers Debüt "Vakuum" hat, wie erwähnt, einen traurigen aktuellen Hintergrund, weil erst im Dezember wieder im US-Bundesstaat Connecticut Kinder Opfer eines Amokläufers wurden. Der jugendliche Amokläufer ist eines der Schockbilder der Gegenwart. Er ist die Horrorerfahrung der Bildungsstätten, in denen die Kinder doch sicher sein sollen. Und niemand hat das Unheil je kommen sehen.

Das ist in "Vakuum" anders. Dort liegt die diffuse Bedrohung in der Luft, die hitzegeschwängert ist vom Sommer und den Jugendlichen am Ende buchstäblich den Atem raubt.

Das Schöne und Unwiederbringliche des Jungseins wird hier im Übrigen auf hinreißende Weise vorexerziert: das Erhabene der ersten Liebe, das rührende Pathos der Freundschaft und das ziellose Verdämmern der Tage. Und selbst die dunkle Vorahnung, selbst das gruselige Geheimnis sorgt für eine Steigerung des Lebensgefühls. Besser wird's eigentlich nicht mehr, ist man geneigt den Figuren zuzurufen.

"Vakuum" erscheint im Reprodukt-Verlag und kostet 20 Euro. Die Release-Party findet am 15.2. ab 20 Uhr im Hinterconti (Marktstraße 40a) statt. Am 16.2. und 17.2. ist die Ausstellung des Comics von 12 bis 19 Uhr geöffnet.