Hannah Ahrendt beobachtete als Berichterstatterin den wichtigsten NS-Prozess. Ihr Leben wurde jetzt verfilmt.

Der Mann im Glaskasten ist "ein mittelgroßer, schlanker Mittfünfziger mit zurückweichendem Haaransatz, schlecht sitzendem Gebiss und kurzsichtigen Augen", notiert sie. Ihr fällt auf, dass er "den ganzen Prozess hindurch seinen dürren Hals zur Richterbank hinstreckt" und sein Gesicht nicht ein einziges Mal zum Publikum wendet. Das also ist Adolf Eichmann.

Hannah Arendt beobachtet ihn als Berichterstatterin des amerikanischen Magazins "The New Yorker" im "Haus des Volkes" in Jerusalem, wo der Staat Israel ihm 1961 den Prozess macht. 15 Jahre lang hatte er sich versteckt, nach dem Krieg zuerst als Geflügelzüchter Otto Henninger in Eversen bei Celle, seit 1950 als Ricardo Klement in Argentinien. Bis ihn Agenten des israelischen Geheimdienstes in einer Aprilnacht 1960 entführten und nach Israel brachten. Der Vorwurf: Eichmann habe als Leiter des "Eichmann-Referats" im Reichssicherheitshauptamt die Vertreibung und Deportation der Juden in die Vernichtungslager organisiert. Er bestreitet das nicht.

Arendt ist im selben Jahr wie Eichmann geboren, 1906. Sie hätte sein Opfer werden können. Während er 1932 mit 26 Jahren NSDAP- und SS-Mitglied wurde und eine Karriere in Hitlers Vertreibungsabteilungen begann, wuchs die in Hannover geborene Arendt in einer gebildeten, liberalen jüdischen Familie in Königsberg auf. Nach dem Abitur studierte sie in Marburg Philosophie bei Rudolf Bultmann und Martin Heidegger (mit dem sie ein Liebesverhältnis hatte), dann in Freiburg und Heidelberg bei Karl Jaspers. Ihre Dissertation ("Der Liebesbegriff bei Augustinus") verfasste sie mit 22 Jahren. Eine hochbegabte junge Frau mit Neugier auf die großen Fragen: Wozu ist der Mensch da, was macht ihn aus? Politik interessierte sie nicht besonders, das seien "Männerfronten", meinte sie.

Das änderte sich nach Hitlers Machtergreifung. Nach einer Verhaftung durch die Gestapo emigrierte sie mit ihrem ersten Mann Günther Stern 1933 nach Paris, 1941 mit ihrem zweiten Mann, dem Hochschullehrer Heinrich Blücher, nach New York.

Freunde blieben zurück, andere waren verhaftet, ihre wissenschaftliche Laufbahn stockte, ihre deutsche Staatsbürgerschaft war aberkannt. Über Jahre hielt sie sich mit Jobs in der Flüchtlingsarbeit, mit philosophischen und journalistischen Essays über Wasser. Erst 1951 gelang ihr ein großer Wurf mit dem Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", das die Totalitarismus-Diskussion entscheidend prägte.

In Jerusalem hat sie ein Paradebeispiel für "totalen Gehorsam" vor Augen. Die Zuschauer erwarten, in Eichmann ein Monster zu finden, eine Verkörperung des Bösen. Aber je länger Hannah Arendt den Prozess verfolgt - bis zur Urteilsverkündung im Dezember 1961 -, desto mehr wundert sie sich: Da sitzt kein Sadist, kein glühender Antisemit. "Ich habe mit der Tötung der Juden nichts zu tun", sagt Eichmann. "Persönlich" habe er nie etwas gegen Juden gehabt. Er habe nur Befehle ausgeführt, sich bemüht, alles richtig zu machen. Stolz beschreibt er, wie er die Vertreibung der Juden effektivierte. Deshalb empfinde er auch keine Reue - "Reue ist etwas für kleine Kinder". Etwas melodramatisch bietet er an, sich "öffentlich selbst zu erhängen", um den "Schulddruck" von der deutschen Jugend zu nehmen. Ein halbes Dutzend Psychiater begutachtet Eichmann und kommt zu dem Ergebnis, dass er "normal" sei.

Fassungslos hört Arendt zu. Der Mann, der Millionen Menschen in den Vernichtungslagern auf dem Gewissen hat, ist ein blasser Ex-Vertreter, ein willfähriger Bürokrat ("Amtssprache ist meine einzige Sprache"). Sie arbeitet sich in das umfangreiche Prozessmaterial ein, in die 100 Zeugenaussagen, liest Eichmanns "Memoiren", die er in der Haft schrieb. Bis zuletzt erkennt sie in Eichmann keine "dämonische Tiefe", sondern nur eine schwer begreifliche Werte- und Haltlosigkeit. Aber muss er nicht auch für das pure Gehorchen Verantwortung übernehmen?

Wie Hannah Arendt erwartet hat, wird Eichmann zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 in Ramla gehängt. Was sie nicht erwartet hat, ist der Skandal, den ihre Berichte auslösen, erst recht die Buchform "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen", die 1963 in den USA und 1964 in Deutschland erscheint.

Heute ist der Begriff "Banalität des Bösen" längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Aber damals nahm man Hannah Arendt übel, dass sie das allgemein vorherrschende Bild von der "Verführung" zum Nazi-Verbrecher nicht bestätigt hatte. Stattdessen hatte sie auf den Punkt gebracht, dass hier ein Mann wie Millionen andere am Werk gewesen war, den Hitler nicht "verführen" musste, sondern der "gedankenlos" von selber funktionierte, ohne Fragen zu stellen. "Jetzt wissen wir, dass in jedem von uns ein Eichmann steckt", hatte sie geschrieben.

Übel nahm man ihr auch, welchen beunruhigenden Schluss sie daraus zog: Wenn es keiner historisch einmaligen verbrecherischen Organisation bedarf, um Menschen wie Eichmann in Gang zu setzen, dann kann sich eine solche Katastrophe wiederholen. Scharf angegriffen wurde sie außerdem für ihre Kritik an jüdischen Organisationen, denen sie bestimmte Formen der Kooperation mit den Nazis vorwarf.

"Hannah Arendt sah sich einer Mauer der Ablehnung gegenüber", schrieb der Historiker Hans Mommsen. Nicht nur enge Freunde wendeten sich von ihr ab. Auch die Zusammenarbeit mit dem Leo-Baeck-Institut in New York zerbrach, das 1958 ein Buch Arendts publiziert und der Emigrantin damit zu ein bisschen Geld verholfen hatte. Kritiker warfen ihr sogar vor, sie wolle Eichmanns Rolle verharmlosen.

Die Kontroverse hing Hannah Ahrendt bis zu ihrem Tod 1975 in New York nach. Den Stoff - die Entstehung einer mutigen These und ihre dramatischen Folgen - hat die Regisseurin Margarethe von Trotta ("Rosenstraße", "Rosa Luxemburg") jetzt ins Kino gebracht. Barbara Sukowa spielt Hannah Arendt als Prozessbeobachterin, der man buchstäblich beim Denken zusehen kann. Der Film nutzt diese wichtige Episode in Arendts Leben, schildert aber auch ihre Rolle als Philosophin, ihr Leben als Ehefrau, Exilantin und Querdenkerin. Von Eichmann wurden Originalaufnahmen im Gericht verwendet: "Ein Schauspieler hätte das nicht leisten können", sagt von Trotta.

Die Stadt Hamburg hat Hannah Arendt 1959 den Lessing-Preis verliehen. In ihrer Dankesrede sprach sie über ihr Credo: Der Mensch sei dazu geboren, sich in die Gesellschaft einzuschalten, sich nicht fremdbestimmen zu lassen, sondern auch unbequem zu sein. In Eichmann erkannte sie zwei Jahre später das genaue Gegenteil.

Die Filmemacherin Margarethe von Trotta ist zu Gast in Hamburg und stellt ihren Film "Hannah Arendt" vor: Sonnabend, 12.1., 19.30 Uhr, Abaton-Kino, Allende-Platz 3. Kartentelefon: 41 320 320