Die Dokumentation “Tod nach Abschiebung - Wadim“ zweier Hamburger Filmemacher erzählt von dem Versuch eines Letten, Deutscher zu werden.

Ein blauer Schmetterling schmückt das Grab, daneben ein Schokoladenhase. Blau war Wadims Lieblingsfarbe. Und Schokolade hat er geliebt, vor allem die zuckersüße mit den bunten Kindermotiven auf der Verpackung. Hellblau ist auch das Holzkreuz an der Unglücksstelle, auf einem abschüssigen, zugemüllten Wiesenstück unmittelbar neben der S-Bahn-Strecke zwischen Harburg und Altona. Dort hat sich Wadim K. aus Lettland in einer frostigen Januarnacht auf die Gleise gestellt und auf den Zug gewartet. Und auf seinen Tod. Zwei Jahre ist das her. Er wurde nur 23 Jahre alt.

Die Hamburger Filmemacher Carsten Rau und Hauke Wendler haben sich in ihrem Dokumentarfilm "Tod nach Abschiebung - Wadim" auf Spurensuche begeben. Stück für Stück setzen sie das Mosaik eines viel zu kurzen Lebens zusammen, in der Summe der Teile wird ein Bild daraus. Es ist das Bild eines Jungen, der an den Demütigungen des Alltags zerbrochen ist. 13 Jahre zwischen Duldung und Ausweisung, Arbeitsverbot und Sammelunterkunft, verpasstem Realschulabschluss und Fabrikarbeit liegen hinter Wadim, als er auf die Schienen klettert. "Er hat den ganzen Stress mitbekommen, die Depression der Mutter, die Ungewissheit: Werden wir jetzt abgeschoben?", sagt die Sozialarbeiterin.

Wadim kommt mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder 1992 als Flüchtling nach Hamburg. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fühlt sich die russischstämmige Familie in Lettland nicht mehr sicher. Was folgt, ist eine Odyssee über Anwälte, Abschiebehaft und Ausländerbehörde. Wer die Bilder gesehen hat von den hereinströmenden Menschenmengen, wenn die Ausländerbehörde morgens ihre Pforten öffnet, vergisst sie nicht mehr. Ein Ort für Gestrandete, die Hoffnungen haben, irgendwo in ihren Herzen geparkt. "Wadim" mag ein Einzelschicksal erzählen, steht aber zugleich exemplarisch für das Schicksal von knapp 90.000 Menschen, die heute mit einer Duldung in Deutschland leben.

Der Film rückt in den Fokus, was sonst oft von der Bildfläche verschwindet. Er ist ein bewegendes Lehrstück über Asyl und Ausländerpolitik, Heimat und Isolation. Dabei ist er nicht sentimental oder gar weichgespült, er schaut nur sehr genau hin und rekonstruiert die Nachlässigkeiten eines Behördenapparats. "Das Grauen hört einfach nicht auf." So fasst der Anwalt, der die Familie K. seit 2005 beraten hat, die Tragödie zusammen. Zu diesem Zeitpunkt versucht die Ausländerbehörde, die Familie abzuschieben. Mitten in der Nacht stehen vier Polizisten und ein Arzt vor der Wohnungstür der Familie, der Einsatz endet in einem Desaster. Die Mutter schneidet sich die Pulsadern auf, der Vater tritt wild um sich und landet in der Untersuchungshaft.

Wadim wird mit 18 Jahren allein nach Lettland abgeschoben - in ein Land, an das er sich kaum erinnern kann. Wadims Zuhause, das sind die Landungsbrücken und die Elbe, über die sich die schweren Schiffe in gemächlichem Tempo schieben. Eine Videoaufnahme zeigt einen fröhlichen jungen Mann mit glatter Kinderhaut, der mit dem Stolz eines Touristenführers den Hafen zeigt, als hätte er persönlich die Schiffe aufs Wasser gesetzt.

Wie macht man einen 90-minütigen Film über jemanden, der tot ist? Den man nichts mehr fragen kann, der nicht in die Kamera lächeln kann. Das war die Schwierigkeit, vor der die Filmemacher bei dem Projekt standen, eine Koproduktion mit dem NDR, gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Aber da waren noch so viele Menschen, die Wadim gekannt und ihn gemocht hatten. Sie alle haben Carsten Rau und Hauke Wendler getroffen, die Grundschullehrerin, den Familienanwalt, Wadims Freunde und seine erste große Liebe. Sie entwerfen das Porträt eines begabten Jungen, der Klavier und Fagott gespielt hat, einen Schlag bei den Mädchen hatte und seinem Klassenlehrer einmal erklärt hat: "Machen Sie sich mal um mich keine Sorgen. Ich werde einmal eine Menge Geld verdienen."

Am herzzerreißendsten sind die Interviews mit den Eltern. Ein Gericht hat entschieden, dass sie aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankungen (beide leiden an Depressionen) nicht mehr abgeschoben werden dürfen. So viele Jahre haben sie dafür gekämpft, in Hamburg bleiben zu dürfen. Nun sind sie müde, ihr Herz ist gebrochen. Wo sie leben, ist eigentlich egal. Im Kern erzählt "Tod nach Abschiebung - Wadim", der auf Festivals mehrfach ausgezeichnet wurde, von der Suche des Menschen nach einem Zuhause. Wie ein Getriebener war Wadim in den letzten Jahren seines Lebens unterwegs, verbannt aus seiner Heimat, die man ihm per Gesetzbeschluss weggenommen hatte. Wenn der Film einen Sound hat, dann ist es der Klang von Heimweh.

Eine Videoaufnahme zeigt Wadim nach seiner Abschiebung, als er sich illegal nach Hamburg zu seiner Familie durchgeschlagen hat. Er lässt sich in die Badewanne fallen, spült den Dreck von der langen Reise von seiner Haut. Seine Mutter nimmt die Schmutzwäsche entgegen wie ein kostbares Geschenk. Die Familie ist zusammen, es könnte alles gut sein. Aber die Wirklichkeit hatte andere Pläne.

"Tod nach Abschiebung - Wadim", Mittwoch, 22.45 Uhr, ARD