Heute erscheint das erste Magazin unter dem neuen Chefredakteur Jörg Quoos. Der „Focus“ soll politischer und meinungsfreudiger werden.

Hamburg. Der Mann ist angeschlagen. Und zwar gewaltig: Seine rechte Augenbraue ist ebenso verpflastert wie seine linke Wange. Der linke Mundwinkel ist verschorft, das linke Auge blau, ein Glas der schief sitzenden Brille zersplittert. Und unter dem lädierten Gesicht prangt die Schlagzeile: "SPD-Chaos-Kandidatur - Schlägt Steinbrück sich selbst k. o.?"

So sieht der erste Titel des Nachrichtenmagazins "Focus" aus, das der neue Chefredakteur Jörg Quoos, bis Ende 2012 Politikchef und stellvertretender Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, verantwortet hat. Es ist ein starker Titel. Und er wäre noch stärker, würde der linke Teil der Titeloptik nicht von einer unschönen Flappe verdeckt, auf der eine dieser für "Focus" typischen Servicegeschichten angerissen wird: "Schluss mit Rauchen - Weniger Alkohol - Mehr Sport - Die besten Methoden zur Selbstmotivation auf 12 Seiten."

Der aktuelle "Focus"-Titel versinnbildlicht recht gut, in welche Richtung Quoos das Magazin führen wird: Die großen Servicestücke, für die das Blatt seit seiner Gründung steht, sollen bleiben. Doch etwas mehr politische Relevanz darf künftig schon sein. Der Titel habe sich als Ratgeberblatt etabliert, aber er werde in politischen Kreisen nicht ernst genug genommen, soll der neue Chefredakteur gegenüber der Redaktion gesagt haben. Das werde sich ändern. Servicestücke sollten nur noch in Ausnahmefällen das "Focus"-Cover zieren.

Dass es die Selbstmotivationsgeschichte überhaupt auf die Titel-Flappe geschafft hat, ist wohl vor allem dem Umstand geschuldet, dass Quoos seine Amtszeit nicht mit einem Affront beginnen wollte. Denn sein Vorgänger Uli Baur, der ab sofort gemeinsam mit "Focus"-Gründer Helmut Markwort als Herausgeber firmiert, habe den Neuen mit einem praktisch komplett durchkomponierten Heft empfangen, auf dessen Titel das Servicestück mit der Zeile "Ich schaffe das" prangte. Quoos hätte eigentlich nur noch das Editorial schreiben müssen. So erzählt man es sich zumindest in der Redaktion.

Doch Quoos habe nach Steinbrücks umstrittenen Äußerungen zur Höhe des Kanzlergehalts und zu Angela Merkels angeblichen "Frauenbonus" auf einem Titelstück über den SPD-Kanzlerkandidaten bestanden. Dass dies die politisch relevanteste Geschichte der vergangenen Woche war, fand übrigens auch der "Focus"-Wettbewerber "Spiegel", der in seiner heute erscheinenden Ausgabe ebenfalls Steinbrück auf dem Titel hat. Auch sonst hat Quoos die ihm von seinem Vorgänger vorgelegte Ausgabe nicht einfach übernommen. Vielmehr habe er jedes Stück sorgfältig gelesen und an Texten, Schlagzeilen und Bildunterschriften manche Änderungen vorgenommen, heißt es. Auf dem Prüfstand stehen mehrere Heftelemente. Dass die Rubrik "Montag ist Zeugnistag" im Wirtschaftsteil, in der Wirtschaftsführern und Produkten Schulnoten gegeben werden, in der aktuellen Ausgabe komplett fehlt, dürfte kein Zufall sein. Ihre Zukunft ist ebenso ungewiss wie die des "Tendenz-O-Meters" und der "Fotos der Woche", die im ersten Quoos-Heft allerdings noch enthalten sind. Während "Montag ist Zeugnistag" und "Tendenz-O-Meter" dem Chefredakteur offenbar zu kleinteilig sind, vor der Redaktion sprach er sich für eine Abkehr vom Häppchenjournalismus aus, erinnern ihn die "Fotos der Woche" offenbar zu sehr an den "Stern".

In seinem Editorial vermeidet es Quoos dagegen, irgendwelche Neuerungen anzukündigen. Stattdessen bedankt er sich brav bei seinem Vorgänger Baur, der ihm "mit Rat und Tat zur Seite" gestanden habe und gemeinsam mit Markwort "als Herausgeber seinem Magazin verbunden" bleiben werde.

Das ist mehr als nur Höflichkeit. Quoos' Vorvorgänger Wolfram Weimer scheiterte auch an einem Machtkampf mit Markwort und dessen Adlatus Baur. Der Versuch des einstigen "Welt"- und "Cicero"-Chefredakteurs, den "Focus" unter weitgehendem Verzicht auf Servicestücke und ohne Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten des im Verlag nach wie vor mächtigen Markwort zu einem konservativen Intelligenzblatt umzubauen, ging daneben.

Meinungsfreudig - wenn auch nicht unbedingt berechenbar - soll das Münchner Nachrichtenmagazin allerdings auch unter Quoos sein. Das Papier sei "zu schade für Sowohl-als-auch-Journalismus", sagte er seinen Redakteuren. Und in seinem ersten Editorial gibt der Chefredakteur gleich eine Kostprobe der eigenen Meinungsstärke: "Peer Steinbrück ist immer noch der richtige Kandidat und der Einzige, der der Kanzlerin bei den Wahlen gefährlich werden kann", heißt es dort. In dieser Zuspitzung ist das eine wirklich originelle Meinung.