Samy Deluxe heißt jetzt Herr Sorge und singt apokalyptische Lieder im Thalia Theater. Eine Show zum Nachdenken – und Tanzen und Feiern.

Hamburg. Freitagmorgen, 21. Dezember, genau 0 Uhr. Der Tag hat begonnen. Freitag, 21. Dezember, genau 0 Uhr. Samy Deluxe steht auf der Theke im Nachtasyl, nichts ruckelt, keine Aliens kreisen über dem Alstertor, die Welt dreht sich wie seit Milliarden von Jahren. Eine Stunde zuvor ist die Weltuntergangsgala des Eppendorfer Rappers im Thalia zu Ende gegangen. Nur der blaue Lidstrich unter dem linken Auge deutet noch auf seine Kostümierung als Herr Sorge hin. Jetzt nutzt er die Gelegenheit, sich in der Bar unter dem Dach des Theaters bei seinen Mitstreitern zu bedanken und anschließend eine Party zu feiern. Die Mayas hatten mit ihrer Prophezeiung unrecht, die Welt endet nicht mit einem großen Knall, aber die vielen kleinen und großen Katastrophen nagen an ihr. Die Vorhersage hat Samy zu seiner Show am Vortage der Apokalypse inspiriert.

Auf einer riesigen Leinwand im Hintergrund der Bühne dreht sich die Erde in strahlendem Blau. Links und rechts stehen zwei von olivfarbenen Tarnnetzen eingesponnene Türme. Hier thronen Herr Zorn und Herr Sass. Die DJs und Klangkünstler scheinen direkt aus einem Endzeitfilm wie "Mad Max" auf die Bühne des Thalia gebeamt worden zu sein. Der Bassist erinnert mit seinem stacheligen Maulkorb an die Schock-Rock-Band Gwar, der Schlagzeuger mit dem Namen Herr Grimm trägt ein Outfit, als hätte er im Theaterfundus die freie Auswahl gehabt. Dann wird Herr Sorge, Samy Deluxes neue Kunstfigur, aus dem Untergrund auf die Bühne gehievt. Mit seinem schwarzen Zylinder, der dunklen Brille und all den Anhängseln an seinem Anzug sieht er aus wie ein Vertreter des Steampunk, einer futuristischen Richtung, die ihre Wurzeln in den Romanen von Jules Verne und H.G. Wells hat.

"Das ist fröhliche Weltuntergangsmusik", singt Herr Sorge aus seinem Album "Verschwörungstheorien mit schönen Melodien". Videoprojektionen unterstützen die satirisch-sarkastischen Texte des singenden Rappers und rappenden Sängers. Bei der Katastrophen-Hitparade schaltet Herr Sass nach Japan und zeigt, wie das Monster Godzilla Häuser zertrampelt und nacktes Chaos hinterlässt. Japan landet auf Platz eins dieser Charts, wird aber später disqualifiziert: Frühstart wegen Fukushima. Sich zu Tode stürzende Lemminge flimmern über die Leinwand, plakatives Symbol für die Menschheit, die wider besseres Wissens eine Fehlentscheidung nach der anderen trifft. Dazu skandiert Herr Sorge seine paradoxen Wortspiele und beschreibt damit die Widersprüche dieser Welt.

Seine Endzeit-Balladen und Finger-in-die-Wunde-Lieder hat Herr Sorge in rhythmische Electro-Popsongs verpackt. Normalerweise begleitet heftiges Kopfnicken des Publikums die Auftritte des Rappers, im Thalia Theater erinnern die Baseballkappenträger an Schneemänner - eingefroren. Die neuen Texte und die parallel laufenden Videobilder fordern ihre gesamte Aufmerksamkeit. Erst gegen Ende wird es einigen Fans zu bunt. Sie erheben sich von ihren Plätzen und fangen an zu tanzen. Ein Song wie "Feiern gehen (das Leben is so schön)" verlangt nach Bewegung, und aus drei Tanzenden werden schnell ein paar Hundert. Am Ende wird Samy Deluxe aka Herr Sorge gefeiert - von bartlosen Teenies im Herr-Sorge-Outfit wie von rastazöpfigen Studentinnen und einer ganzen Reihe älterer Zuhörer, für die Hip-Hop schon seit den 80er-Jahren ein Begriff ist.

Mit dieser aufwendigen humorvollen Endzeit-Show wollte Samy Deluxe ein Zeichen setzen und wenigstens für einen Abend zum Nachdenken anregen. Und zum Tanzen. Und zum Feiern. Sein Plan ist aufgegangen, und wir warten auf die nächste Prophezeiung.