Der Hamburger Rapper Samy Deluxe hat die Kunstfigur Herr Sorge erschaffen. Heute erscheint sein neues Album.

Hamburg. Herr Sorge sieht ein bisschen aus wie aus der Zeit gefallen. Der Zylinder und die antiquierte runde Brille, die langen Haare und die geschminkten Augen erinnern an fahrende Künstler, die im 19. Jahrhundert über die Märkte zogen und mit allerlei Gaukeleien ihren kargen Lebensunterhalt verdienten. Eigentlich fehlt nur noch das Kapuzineräffchen auf der Schulter. "Herr Sorge war früher mal Clown. Er wollte die Leute unterhalten. Doch jedes Mal, wenn sie lachen und er ihnen ihre Sorgen zumindest temporär nimmt, gehen sie in ihn über. Irgendwann sind diese fremden Sorgen in ihm übergelaufen und haben ihn verbittert", erklärt Samy Deluxe die von ihm kreierte Figur. "Der Clown ist als Metapher für meine Rap-Karriere zu verstehen", ergänzt er.

Der Name dieser Kunstfigur ist doppeldeutig, denn Samy Deluxe trägt den bürgerlichen Namen Sorge. Seine Kreation heißt ebenso und ist in Sorge um den Zustand der Welt. Sehr klarsichtig sieht Herr Sorge den Weltuntergang auf uns zukommen, wenn auch nicht an einem Tag, wie es der Maya-Kalender für den 21. Dezember 2012 vorhersagt, sondern in Form vieler kleiner Katastrophen. "Herrn Sorge ist klar, dass er selber Teil des Systems ist, das zu diesem Untergang führen wird, aber er hat zumindest ein Bewusstsein dafür und macht sich Gedanken um Gegenwart und Zukunft", sagt sein Schöpfer. Herr Sorge äußert seine Gedanken in Songs und in Gedichten. "Verschwörungstheorien mit schönen Melodien" heißt das Album, das heute erscheint und auf dem der Hip-Hop-Künstler Samy Deluxe musikalisch neue Wege beschreitet.

Herr Sorge singt, die Musik zu seinen augenzwinkernd pessimistischen Texten ist spaciger Electro-Pop und ein Sammelsurium an Klängen und Beats. Die Texte dominieren jedoch die Musik. Der Rapper Samy Deluxe schaute vor zehn Jahren von Marihuana benebelt durch eine "grüne Brille", Herr Sorge blickt "durch eine Klobrille auf eine Scheißwelt".

Wie von Deluxe gewohnt, sind die Texte wortwitzig und verspielt, Songs wechseln sich auf dem Album mit sogenannten "skits" ab, das sind Gedichte, die "Zukunft Vorbye" oder "Los Ziehen" heißen und den Hörern einen Spiegel vorhalten. "Du gestaltest die Programme mit für die ganze Welt", singt er in "Die saß da". Herr Sorge fordert dazu auf, das eigene Verhalten zu verändern und nicht nur zuzusehen, wie alles den Bach runtergeht.

Entstanden ist das Konzept für diesen Ausflug in die Welt des Pop vor acht Monaten. Mit seinem Album "Schwarzweiß" schaffte Samy Deluxe vor einem Jahr zum ersten Mal den Sprung auf Platz eins der Charts. Doch statt sich über diesen Erfolg zu freuen, überkam ihn eine depressive Phase. "Ich hatte noch nie so einen großen Erfolg, doch bei genauer Betrachtung war vieles genau so Scheiße wie eineinhalb Jahre vorher. Ich hab nichts anderes als Musik gemacht, das Privatleben fiel wieder hinten runter. Aus dieser Stimmung heraus entstand die Idee mit Herrn Sorge", erzählt Samy.

"Desaster" war der erste Song, den er schrieb und der eine andere Klangwelt besaß als seine bisherigen Arbeiten. Daraus entstanden dann weitere Nummern dieser "fröhlichen Weltuntergangsmusik" mit ihren gegensätzlichen Polen. Allerdings: Privates musste wieder hintanstehen. Der in Eppendorf aufgewachsene Künstler räumt ein, dass es um seine Work-Life-Balance zumeist nicht besonders gut bestellt ist. "Das Einzige, was mich glücklich und euphorisch macht, ist Neues zu kreieren. Ich bin leider durchgehend inspiriert. Es gibt keinen Endpunkt. Das führt dann dazu, dass ich manchmal ganze Nächte lang den Schlaf auslasse und durcharbeite. Meine Arbeit ist mein Leben."

Im Moment arbeiten Samy und sein Team mit Hochdruck an der Vorbereitung einer Show, die am 20. Dezember im Thalia-Theater über die Bühne gehen soll, also einen Tag vor dem ominösen Weltuntergangsdatum. Die "Fröhliche Weltuntergangsgala" präsentiert dann zum ersten Mal Herrn Sorge in der Öffentlichkeit. Im kommenden Jahr wird die depressive Frohnatur dann mit diesem satirischen Programm auf Tournee gehen. "Das bedeutet natürlich nicht, dass es den Rapper Samy Deluxe in Zukunft nicht mehr geben wird. Im Gegenteil. Auch da habe ich schon wieder neue Songs im Kopf. Aber anders als Herr Sorge muss Samy brutal rappen", so der Mann mit den verschiedenen Identitäten.

Abgesehen von seinen eigenen Projekten produziert Samy gerade das neue Album der Soulsängerin Cassandra Steen ("Stadt", "Glaub ihnen kein Wort") und die zweite Platte eines deutschen Rappers mit libanesischen Wurzeln, der sich MoTrip nennt. Zurzeit hat der gebürtige Hamburger keinen Wohnsitz mehr in seiner Heimatstadt, sein Studio liegt 40 Kilometer von Hamburg entfernt in der Nordheide, ein zweites Studio hat er sich in Belgien eingerichtet, wo er mit seiner Freundin lebt. "Ich bin häufig unterwegs und treffe auf diesen Reisen viele Menschen und bekomme viele Eindrücke. Auch davon ist reichlich in die Songs und Gedichte von Herrn Sorge geflossen."

Ein wichtiges Thema für Sorge/Deluxe ist Medienkritik: "Natürlich hoffe ich darauf, Öffentlichkeit zu bekommen. Aber es liegt nicht in meiner Macht." Samys Erfahrung ist, dass Gesellschaftskritik besonders im Radio oft nicht gut ankommt. "Die spielen dich einfach nicht." Überhaupt steht der Hip-Hopper mit vielen Sendeanstalten auf Kriegsfuß. Die per Computer gesteuerten Musikprogramme sind ihm ebenso ein Dorn im Auge wie die Moderatoren: "Kein Mensch redet im Radio mehr normal." Er jedenfalls habe den Eindruck, dass nur noch Moderatoren mit möglichst nervigen Stimmen gecastet würden.

"Herr Sorge: Fröhliche Weltuntergangsgala" 20.12., 21.00, Thalia Theater, Karten ab 22 Euro