Sachbücher zweifeln am Sinn des zwanghaften positiven Denkens. Optimismus scheint nicht mehr in zu sein.

Hamburg. Vor genau zehn Jahren stand ein Buch lange Zeit auf der Bestsellerliste, das "Die Glücksformel" versprach. Zehn Jahre, das ist eine kleine Spanne in der Geschichte der Menschheit und eine große für ein kleines Menschlein. Wie war damals noch mal die Stimmung? Persönlich? Und darüber hinaus, im Gesamtgesellschaftlichen? Ein Jahr vorher, 2001, fielen nach einem Terrorakt zwei Hochhäuser in New York in sich zusammen, und noch mal ein Jahr vorher platzte die Blase der New Economy. Sieht so aus, als hätten sich damals viele tatsächlich auf die Suche nach den guten Gefühlen und glücklichen Momenten machen müssen.

Glück ist nicht selbstverständlich, das ist eine so schlichte wie richtige Erkenntnis. Die Menschen haben sich zu allen Zeiten gefragt, welche Wege am ehesten zu Zufriedenheit und Wohlbehagen führen, und dann kamen ihnen immer das Pech in der Liebe oder der Misserfolg im Beruf dazwischen. Der Gefühlshaushalt ist eine Mangelwirtschaft, was seine positiven Posten angeht. Die Ratgeberliteratur hat sich deswegen schon immer mit Handlungsanleitungen zu einem glücklichen Leben hervorgetan. Doch in diesem Jahr ist alles anders: Das allgegenwärtige Krisenempfinden scheint anders als in vergleichbaren Epochen heute nämlich keine Gegenbewegung zu bewirken. Optimismus ist out!

Das rufen uns in diesen Tagen zumindest zwei Autoren zu. Der Philosoph Wilhelm Schmid schreibt über das "Unglücklichsein" und versteht sein Büchlein als "Eine Ermutigung", wie es im Untertitel heißt. Weniger gemessen im Ton ist allein schon der Titel des Psychologen Arnold Retzer, der mit seinem Werk "Miese Stimmung" eine "Streitschrift gegen positives Denken" verfasst hat. Die Stoßrichtung ist klar: Coaching, Lebensberater, krampfige Methoden der Stimmungsaufhellung und permanente Selbstoptimierung zeugen von einer falschen Lebensauffassung. Es gilt, stimmungsmäßige Täler und sonstige mentale Schwachheiten als das zu akzeptieren, was sie sind. Nämlich temporäre Launen und Lebensphasen, die einen das Glück erst in voller Pracht erfahren lassen.

Eine angenehm realistische Weltsicht, oder? Sie lässt einen auch die Großwetterlage besser ertragen, wo Wirtschaften und Währungen kollabieren und das Abendland jetzt aber ganz ernsthaft vom Untergang bedroht ist.

Jaja, die depressive Verstimmung des Zeitgeists, sie hält jetzt schon ganz schön lange vor. Hilft alles nichts, da kann man wohl den emotionalen Tiefgang nur akzeptieren lernen.

Zum aufgeregten Management des Scheiterns, zum melancholischen Raureif in den Wäldern unseres Lebens gehört der theoretische Überbau. Weshalb gerade die Lektüre von Wilhelm Schmids souveräner Abhandlung durchaus lohnenswert ist. Schmids Stil (der Mann ist Philosoph!) ist überraschend verständlich, und es sind diese einfachen Sätze, die einen als Leser ganz demütig werden lassen und vielleicht sogar schon schnell die Erwartungshaltung neu justieren. Schmid schreibt so nüchtern wie richtig zum Beispiel Folgendes: "Das Geschichtsbuch der Menschheit besteht aus einem schmalen Kapitel über das Glück und einem sehr umfangreichen Rest. Dieses Verhältnis verbessern zu wollen, ist unbedingt unterstützenswert, es umkehren zu wollen, ist unrealistisch."

Allein dieser Satz ist, ganz ehrlich, schon der erste Schritt aus dem Dickicht der Übellaunigkeit. Der führt, sagt Schmid sinngemäß, zum Ziel, indem er das Unglücklichsein gerade nicht bekämpft, sondern seine Legitimität stützt. Glücklich zu sein, das ist nicht leicht, und jeder ist es immer nur eine gewisse Zeit. Weitaus schwieriger, so Schmid, sei es aber, mit dem Unglücklichsein zurechtzukommen, "es aufzunehmen und auszuhalten; ein solches Leben ist heroisch."

Wie wird man ein Held der Traurigkeit? Indem man das, was die Chinesen Yin und Yang nennen, zwei sich aufeinander beziehende Gegenpole, nicht nur akzeptiert, sondern als Unabdingbarkeit der menschlichen Existenz ausmacht. "Ohne Gefühlsleben in seiner ganzen Spannweite wäre keine Fülle möglich", schreibt Schmid. Das Leben, das nur noch die Stimmigkeit kenne, verlange nach Unstimmigkeit. Und sogar: "Die unentwegte Lebensfreude kann erschöpfend sein und bedarf einer Erholung, wie sie die Lebenstrauer darstellt." Klingt herzlich banal, weil es nichts anderes bedeutet als: Nur wer traurig ist, kann auch glücklich sein? Vielleicht. Das macht es nicht weniger wahr. Wer die ewige Dauerlust sucht und nicht findet, wird irgendwann automatisch frustriert. Oder zum unausstehlichen Permanentoptimisten, der allen mit seiner manisch guten Laune auf die Nerven geht.

Der überzeugte Optimist tritt übrigens auch in einer zu negativer Berühmtheit gelangten Sozialfigur unserer Zeit zutage, es ist die des Bankers: Schließlich, findet Schmid, sei er es, der durch zu positives Denken auf hohe Profite hoffte und dabei aber mit vergifteten Finanzanlagen handelte. Wo wir wieder bei der Krise wären, die uns heute umtreibt. Sie hat viel mit enttäuschten Hoffnungen zu tun, und die sind bekanntlich oft die Ursachen von "mieser Stimmung". Als solche bezeichnet Arnold Retzer die trübsinnigen Seiten des Lebens. Auch er geißelt den wahnhaften Optimismus der Märkte und schimpft in seinem stellenweise zu laut geschriebenem Werk immer wieder die Hoffnung als Träger menschlicher Handlungen aus. "Wir hoffen uns zu Tode", behauptet Retzer und räumt mit großer Geste die Leistungsgesellschaft und ihren Antrieb ab, das positive Denken.

Hirndoping mit Ritalin und Ähnlichem, der Ausschluss der Melancholie, die perfekt funktionierende Körper- und Geistesmaschine, die Angstbekämpfungsgesellschaft - diese Stereotypen sind unter Kapitalismuskritikern ein alter Hut. Glück, Hoffnung, Leistung, das gehört für den Therapeuten Retzer alles irgendwie zusammen, und anhand von Fallbeispielen erzählt er die Geschichten von Patienten, deren Schicksale erst einmal gar nicht so viel mit pflichtgemäß ausgeführtem positiven Denken zu tun haben, sondern mit grundsätzlichen Methoden der Verdrängung. Was Retzers Streitschrift übrigens entgegen den Absichten ihres Autors zu einer wenig zielführenden Angelegenheit macht. Sein mitunter diffus wabernder, manchmal auch unangenehm auftrumpfender Text kreist um ein Paradoxon, dem man allerdings vorbehaltlos zustimmt: "Die Stimmung wird immer schlechter, je mehr man sich anstrengt, sie zu bekämpfen."

Also sollte dies auch niemand tun, der sein Seelenleben im Gleichgewicht halten will. Wir öfter mal schlecht gelaunten Nörgler vom Dienst wissen das natürlich eh alles schon, fühlen uns jedoch gerade von Schmids Lobpreis der Melancholie geschmeichelt, die viel zarter ausfällt als Retzers Lob der Angst. Schmids philosophisch raffinierter Schluss ist jedenfalls meisterlich: Er zeichnet ein Bild des Menschen, der den Planeten Erde, auf dem der Herbst eingekehrt ist, am Ende retten kann. Weil unsere sehr heutige Traurigkeit angesichts der ökologischen Probleme, unser Unglücklichsein über den Zustand der Erde erst zur Sensibilität und dann zur Arbeit an der ökologischen und sozialen Rettung führt. Wie unwichtig erscheint dagegen so eine kleine Wirtschafts- und Finanzkrise?

Wilhelm Schmid: "Unglücklichsein. Eine Ermutigung", Insel, 100 S., 8 Euro;

Arnold Retzer: "Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken", S. Fischer. 335 S., 19,99 Euro