Gruner + Jahr-Vorstand Julia Jäkel erklärt im Abendblatt-Interview, warum ihr Verlag die “Financial Times Deutschland“ einstellt.

Es war die schwierigste Entscheidung ihrer Karriere. Der Entschluss, die "Financial Times Deutschland" (FTD) einzustellen, hat bei Julia Jäkel Spuren hinterlassen. Sie wirkt müde, auch wenn sie alle Fragen konzentriert beantwortet. Das Abendblatt sprach mit dem Gruner + Jahr-Vorstandsmitglied über die Hintergründe einer Entscheidung, die mehr als 300 G+J-Mitarbeitern den Arbeitsplatz kostet.

Hamburger Abendblatt: Frau Jäkel, wann ist Ihnen zum ersten Mal klar geworden, dass die "FTD" keine Zukunft mehr hat?

Julia Jäkel: Das war ein langer Prozess: Wir haben immerhin zwölf Jahre lang an einem hoch ambitionierten Objekt festgehalten und darum mit großem Durchhaltevermögen gekämpft. Dass es nicht mehr weitergehen kann, wurde mir bewusst, als wir uns die wirtschaftlichen Modelle jenseits des Status quo der gedruckten Tageszeitung anschauten und feststellen mussten, dass diese Modelle alle nicht tragfähig sind. Wenn einem klar wird, dass unabhängig von der Vergangenheit - die Summe, die uns die "FTD" über die Jahre gekostet hat, ist ja bekannt ...

Kolportiert werden 250 Millionen Euro.

Jäkel: Es waren über 250 Millionen Euro. Unabhängig von der Vergangenheit würden diese Modelle noch einmal immense Investitionen bedeuten, die mit ungeheuren Risiken verbunden wären.

Um welche Modelle ging es konkret?

Jäkel: Zum einen um sogenannte Hybridmodelle, also um eine verschlankte, gedruckte Tageszeitung, die montags bis freitags erschienen wäre, ergänzt um eine digitale Bezahlversion. Ein anderes Modell sah eine ausschließlich digitale Ausgabe vor. So etwas rechnet sich vielleicht mit einem auf Englisch erscheinenden Blatt wie der britischen "Financial Times", die eine große internationale Community hat. Bei einem deutschen Medium ist das zumindest heute noch nicht darstellbar.

Hat Ihre Entscheidung beeinflusst, dass 2012 für Medien kein gutes Jahr war?

Jäkel: Wir werden alleine dieses Jahr mit unseren Wirtschaftsmedien 15 Millionen Euro Verlust machen. Die Entwicklung ist schlechter als im Vorjahr. Wenn es nur um 2012 ginge, wäre das noch okay. Und Tageszeitungen haben es aktuell nicht leicht. Zudem haben wir hier ein doppeltes Problem. Das gesamte Wirtschaftssegment, das betrifft auch die Magazine, steht unter Druck. Bei einer Wirtschaftstageszeitung wie der "FTD" potenzieren sich diese Schwierigkeiten. Wir mussten im Vorstand also abwägen, ob wir echte Chancen für die nächsten Jahre sehen. Und diese Frage haben wir am Ende mit Nein beantwortet.

Hätten Sie denn an der "FTD" festgehalten, wenn die Verluste geringer gewesen wären?

Jäkel: Wenn wir damit ein bisschen Geld verloren hätten, würden wir uns jetzt nicht von über 300 Mitarbeitern trennen.

Ein Verlust in einstelliger Millionenhöhe wäre für Sie okay gewesen?

Jäkel: Aber sicher.

Stimmt es, dass Ihre Gesellschafter Ihnen vor Ihrer Berufung zum Vorstand anboten, Ihren Vorstandskollege Achim Twardy die Verantwortung über die G+J Wirtschaftsmedien übernehmen zu lassen, Sie dieses Angebot aber abgelehnt haben?

Jäkel: Das ist richtig. Ich habe das abgelehnt, weil es feige gewesen wäre, dieses Angebot anzunehmen.

Sie selbst gehörten zur Gründungsredaktion der "FTD".

Jäkel: Ich habe dort fünf Jahre gearbeitet. Deshalb berührt mich das Schicksal der "FTD" ganz besonders. Bei Gruner + Jahr haben wir uns alle Arme und Beine dafür ausgerissen, um einer besonderen Art des Journalismus eine Zukunft zu geben. Die "FTD" hat den Wirtschaftsjournalismus bereichert. Ihre Sprache ist klar und prägnant. Sie ist schneller, humorvoller und investigativer als andere. Deshalb haben wir so lange an ihr festgehalten. Das hätte kaum ein anderer Verlag gemacht.

Nun ja, Gerd Bucerius und Axel Springer hatten mit der "Zeit" und der "Welt" noch mehr Geduld als Sie mit der "FTD".

Jäkel: Es geht hier nicht um mich, sondern um Gesellschafter, die hier über zwölf Jahre ihr Vermögen investiert haben. Und denen den Vorwurf zu machen, Sie hätten nicht genug Durchhaltevermögen, ist absurd.

Haben die Anteilseigner, insbesondere der Hauptgesellschafter Bertelsmann Druck ausgeübt, die "FTD" einzustellen?

Jäkel: Ich habe die Verantwortung für Gruner + Jahr Deutschland, und wir entscheiden so, wie wir es für richtig halten. Ich bin von niemandem der Erfüllungsgehilfe.

Im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger Bernd Buchholz sind Sie nicht Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr. Hat das die Auseinandersetzung mit den Gesellschaftern in diesem ohnehin nicht leichten Prozess erschwert?

Jäkel: Nein. Wir sind ein sehr harmonisches Vorstandskollegium. Und wir waren uns sehr einig in der Beurteilung der Dinge. Auch die Diskussion mit den Gesellschaftern war fair und offen und der Tragweite der Entscheidung angemessen.

Sie haben erst am Freitag offiziell bekannt gegeben, dass Sie die "Financial Times Deutschland" einstellen. Am Dienstag hatten Sie die Einstellung im Vorstand beschlossen. Am Mittwoch wurde dieser Beschluss vom Aufsichtsrat bestätigt. Beide Entscheidungen sickerten sofort durch. Warum haben Sie sich so viel Zeit damit gelassen, Ihre Mitarbeiter zu informieren?

Jäkel: Der Ablauf, den Sie beschreiben, ist so nicht korrekt. Ich bin sehr unglücklich über diese Art der Kommunikation. Ich finde sie unwürdig. Dass Kollegen, die hier jahrelang unter nicht immer leichten Bedingungen einen sehr guten Job gemacht haben, von der Einstellung der "FTD" aus der Presse erfahren haben, tut mir leid. Aber wir sind ein Medienhaus. Hier redet jeder mit jedem. Und in die Entscheidungen waren viele Menschen involviert. Zu den Fakten: Am Anfang dieser Woche haben wir die Gesellschafter und den Aufsichtsrat gebeten, den Vorstand zu ermächtigen, zu verkaufen, zu schließen oder Teile zu schließen. Wir konnten deshalb die Mitarbeiter nicht früher informieren. Die abschließende Prüfung durch den Vorstand erfolgte dann erst am Donnerstag.

Bestand tatsächlich noch Hoffnung, die "FTD" zu verkaufen?

Jäkel: Es gab bis zum Schluss einen seriösen Interessenten, dessen Namen ich Ihnen aber nicht nennen kann.

Wie viele Mitarbeiter sind von der Einstellung betroffen?

Jäkel: Über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ihren Arbeitsplatz verlieren, davon 258 am Standort Hamburg. Erhalten bleibt die zu den G+J-Wirtschaftsmedien gehörende Kundenzeitschriftentochter Facts & Figures. "Capital" werden wir am Standort Berlin fortführen.

Warum bleibt "Capital" nicht in Hamburg?

Jäkel: Das Heft wird politischer. Da ist die Hauptstadt der ideale Redaktionsstandort.

Werden Sie den von Entlassung bedrohten Mitarbeitern neue Arbeitsplätze bei Gruner + Jahr anbieten?

Jäkel: Wir versuchen das. Und es wird uns bestimmt auch hier und da gelingen. Aber im großen Stil ist das nicht möglich. Ich will da keine falschen Hoffnungen wecken.

Die Chefredakteure von "Impulse" und "Börse Online" wollen Ihre Titel übernehmen. Wird es dazu kommen?

Jäkel: Ich wünsche es mir. Bei "Impulse" sind wir da schon ziemlich weit.

Wann wird die letzte Ausgabe der "FTD" erscheinen?

Jäkel: Am 7. Dezember.

Warum gerade an diesem Tag?

Jäkel: Wir wollen der Redaktion die Gelegenheit geben, sich in einem geordneten Prozess von ihren Lesern zu verabschieden. Der 7. Dezember ist ein Freitag. Da hat man einen sauberen Abschluss.

Am vergangenen Dienstag war Ihr Finanzvorstand Achim Twardy beim Bürgermeister. Hat Olaf Scholz Ihnen Hilfe angeboten?

Jäkel: Darum ging es nicht. Vor dem Hintergrund der Medienlage haben wir dem Bürgermeister eine Einordnung gegeben.

Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft des Medienstandortes Hamburg?

Jäkel: Ich spreche jetzt mal für das Hamburger Medienunternehmen Gruner + Jahr. Wir haben jetzt eine schwere Zeit, die uns sehr berührt und für alle Mitarbeiter am Standort hart ist. Aber wir sind ein starkes Haus auf einem guten Weg. Und das ist gut für den Medienstandort Hamburg.

Was macht Sie so optimistisch?

Jäkel: Dass es neben vielen Herausforderungen auch viele Chancen gibt. Wir haben gerade mit Blick auf das Digitalgeschäft eine hervorragende Ausgangsposition: Starke Marken und starke bestehende Websites mit hoher Reichweite und Nutzung sowie ein kompetentes Digitalteam. Wir machen neue Magazine. Wir sind ein umtriebiger Verlag.

Nur eine Woche bevor Sie die "FTD" einstellten, meldete die "Frankfurter Rundschau" Insolvenz an, und das Stadtmagazin "Prinz" segnete das Zeitliche. Hat der Journalismus noch Zukunft?

Jäkel: Ich bin mir ganz sicher, dass gut gemachter Journalismus gerade jetzt eine Zukunft hat, besonders hochwertiger Magazinjournalismus, für den Gruner + Jahr steht. Ich bin deshalb so überzeugt davon, weil ich es Tag für Tag in unserem Haus erlebe. Es gibt ein paar Dinge, die uns Sorgen machen. Aber wir haben auch jede Menge erfolgreiche Titel, die mich in meiner Überzeugung bestärken, dass wir noch viele Jahre Freude an Print haben werden.