Im St.-Pauli-Theater feierte Michael Bogdanovs Inszenierung von “The King's Speech - Die Rede des Königs“ eine viel bejubelte deutsche Erstaufführung.

Hamburg. Ein Mann, der nie König werden wollte, weil er stotterte, kränkelte und unter keinen Umständen Gefühle zeigen durfte, das ist George VI. gewesen, der Vater der heutigen englischen Königin Elizabeth II. Über ihn schrieb David Seidler ein schönes Drama, die Geschichte eines Mannes, der über sich selbst hinauswächst und zu Freundschaft fähig wird, "The King's Speech". Der gleichnamige Film erhielt 2010 vier Oscars. Dass das Stück auch auf der Bühne bestens funktioniert, bewies nun Michael Bogdanov in seiner Inszenierung der deutschen Erstaufführung am St.-Pauli-Theater. Mit Marcus Bluhm in der Rolle des Königs Georg VI. und Boris Aljinovic als dessen Sprachtrainer Lionel Logue und großartigen Bildern (Bühne: Sean Crowley) wurde die Aufführung mit lang anhaltendem, heftigen Applaus gefeiert.

Mit einer klassischen Morgentoilette beginnt der Abend. Albert, Herzog von York (zweiter Sohn des Königs), wird angekleidet, von der Unterwäsche bis zum Jackett. Dieser Mann muss, darf und kann wohl nichts alleine machen. Für jede Regung ist ein Reglement vorgesehen. Als Junge hat er gestottert, war Linkshänder, hatte schiefe Beine und wurde zum Gespött seines älteren Bruders und seines Vaters. Die ihn "Be-Be-Be-Bertie" riefen. Albert, so viel ist klar, hat kein schönes Leben. Einzig seine Frau, die von Susanne Schäfer liebevoll trutschig gespielt wird, ist ihm vertraut. Bei ihr stottert er nicht.

Wenn Marcus Bluhm dieses Stottern spielt, ein mühsames, abwägendes Poltern und Pochen, ein Heranwagen an die schwierigen Wörter, die mit V beginnen, die langen Pausen, seine Irritation darüber, dass die Aussprache wieder misslang, der Ärger über diese Behinderung, die Angst, auftreten zu müssen, dann macht er das souverän, mit Würde und großem Einfühlungsvermögen. Er zeigt einen schüchternen Mann, der der Welt nicht gewachsen ist, der aber seine Rolle als Sohn des Königs spielen muss. Bluhm gibt das berührende Bild eines Ungeliebten, Verklemmten, Lebensunklugen, mit dem man aber unbedingt Mitleid haben muss.

Rasche Bildwechsel, begleitet vom Swing der 30er-Jahre, führen die Zuschauer mitten hinein ins Vorkriegs-England. Auf Rollvorhänge werden Bilder vom Buckingham Palace, von Bibliothek und Kaminzimmer, von Westminster Abbey projiziert. Erstaunlich, wie weitläufig plötzlich das kleine St.-Pauli-Theater aussieht. Auch die Wohnung des australischen Sprachlehrers Logue (Boris Aljinovic) und seiner Frau (Anne Weber), der Modellflugzeuge zusammenbaut, der einige Enttäuschungen verarbeiten muss, weil er in seinem Traumberuf als Schauspieler nicht reüssiert, wird gut getroffen. Aljinovic spielt den lachenden Draufgänger, der sich, anders als jeder andere Mensch, an den König herantraut und ihn dadurch auftaut und zum Menschen macht. Eine wahrhaft schöne Story.

Geschichtsbedingt tauchen der dicke Churchill auf (Josef Tratnik), Berties Bruder David (Stephan Benson), der erst König wird und dann abdanken muss, weil er sich in die zweimal geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson verliebt, allerlei Bedienstete, Kirchenfürsten und Politiker. Bertie, der als Nächstgeborener widerwillig König werden muss, füllt diese Rolle dann, auch weil er menschlich gewachsen ist, großartig aus. Sprachlehrer und Ehefrau sei Dank. Der Waliser Michael Bogdanov hat eine Geschichte, die "very British" ist, atmosphärenreich, klug und sehr unterhaltsam so erzählt, dass sie zur Parabel über das Leben aller Ängstlichen wird. Großes Theater.

PS: Die sehr britische Frage, ob man erst die Milch oder erst den Tee eingießt, löst Aljinovic und gießt erst den Tee ein. Falsch! Wenn man zuerst die Milch eingießt, verfärbt sich das Porzellan der Tasse nicht.

"The King's Speech" noch bis 16.12., 20.00, St.-Pauli-Theater, Karten unter T. 47 11 06 66

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