Festival mit bizarrem Ambiente: Zum Rolling Stone Weekender an der Ostsee reisten 4000 begeisterte, zumeist junge Besucher.

Weißenhäuser Strand. Babysitter sind ausgebucht. Deshalb thronen wohl auch noch spät am Abend ein paar Zwei- bis Dreijährige mit neonfarbenem Gehörschutz auf den Schultern ihrer Väter, obwohl sie längst ins Bett gehören. Aber Kinder sind gern gesehene Gäste beim Rolling Stone Weekender in der Ferienanlage in der Hohwachter Bucht. Denn das zweitägige Festival wendet sich auch an Familien, die ihren Enthusiasmus für den Rock 'n' Roll mit einem Kurzurlaub an der Ostsee verbinden, Kinderbetreuung inklusive. Aber 30 Babysitter und der bis abends geöffnete Mini-Club reichen nicht aus, um alle Familien betreuen zu können.

4000 Besucher sind an diesem neblig-trüben Wochenende in das ziemlich abgelegene Feriendorf gefahren, um zwei Tage lang sowohl junge als auch arrivierte Bands live zu erleben. Von Rock 'n' Rollator, wie der "Spiegel" vor zwei Jahren noch gehässig geschrieben hat, ist das Festival weit entfernt - auch wenn im Publikum der eine oder andere Weißhaarige auszumachen ist, der vermutlich schon 1970 beim nahe gelegenen Fehmarn-Festival dabei war.

In diesem Jahr sind viel mehr Frauen und viele jüngere Musikaficionados im großen Sechs-Mast-Festivalzelt und in den drei kleineren Auftrittsorten "Baltic", "Witthüs" und "Rondeel" auszumachen. 18-Jährige lümmeln auf den Fensterbänken im Ballsaal genauso wie ein Paar um die 60, das nach stundenlangem Zuhören erst mal eine Verschnaufpause braucht, bevor es auf der Bühne mit der schottischen Indie-Folk-Band Admiral Fallon weitergeht. Gerade hatten die beiden noch begeistert den Auftritt von Mark Lanegan und seiner Bluesband im Zelt verfolgt. Bevor die Wüstenrocker von Calexico um 23.30 Uhr das diesjährige Festival beschließen, heißt es noch mal letzte Kräfte sammeln.

28 Auftritte sind es in diesem Jahr. Aber Veteranen der Rockmusik gehören nicht zum Line-up des Weekenders. 60er- und 70er-Jahre- Platten von Jethro Tull oder Ten Years After kann man bei den Schallplattenhändlern in der Passage als Second-Hand-Ware kaufen. Wer nach den beeindruckenden Konzerten von Animal Collective oder der jungen US-Sängerin Polica eine CD mitnehmen möchte, hat jedoch schlechte Karten. Auf die aktuelle Musik des Weekenders sind die Händler nicht vorbereitet. Das Programm des Festivals orientiert sich in diesem Jahr noch weniger am Mainstream als in den Vorjahren. Mit Blind Pilot aus Portland/Oregon, dem kanadischen Gitarristen Reignwolf und der New Yorker Singer-Songwriterin Hanna Cohen spielen Künstler an der Ostsee, die noch nie in Deutschland aufgetreten sind.

"Natürlich träumen wir manchmal davon, Bruce Springsteen, Neil Young oder Elvis Costello hier zu haben, aber sie sind unbezahlbar für ein Festival dieser Größe. Also buchen wir Bands, die uns selber Spaß machen", sagt Folkert Koopmans, Chef vom Konzertveranstalter FKP Scorpio, der unter anderem auch das Hurricane-Festival in Scheeßel organisiert. "Beim Hurricane müssen wir Bands für die Massen buchen, weil wir dort 75 000 Zuschauer erreichen wollen, diesen Zwang gibt es beim Rolling Stone Weekender nicht." Also gönnten Koopmans und sein Team sich Acts wie den legendären Songschreiber Van Dyke Parks, der in Anspielung an John F. Kennedys berühmten Satz bekennt: "Ick bin ein Weißenhäuser Strander." Oder Calexico aus Tucson/Arizona. "Wenn man aus der Wüste kommt, ist es etwas Besonderes, an einem Ort unmittelbar am Meer zu spielen", sagt deren Sänger Joey Burns.

Erinnerungen ganz anderer Art verbinden Kettcar mit dem Weißenhäuser Strand. "Früher sind wir hier oft mit einer Clique von zehn Jungs hergefahren. Hamburg war ja nicht weit. Es war so ein bisschen wie ,Eis am Stiel'. Nur ohne Mädchen", erzählt Reimer Bustorff und spielt damit auf die Teenager-Filme an, die Ende der 70er-Jahre im Kino liefen. Dass er hier mal mit seiner Band vor einem großen begeisterten Publikum spielen würde, hätte sich der Kettcar-Bassist nicht träumen lassen.

Mit Tocotronic gastierte eine weitere Erfolgsband der Hamburger Schule beim Weekender. Deren Sänger Dirk von Lowtzow ist zwar schon 41, auf der Bühne aber wirkt er immer noch wie ein Pennäler in einer Schülerband. Tocotronic kommt bei diesem heterogenen und offenen Publikum ebenso gut an wie die Tindersticks oder Two Gallants. Bei J. Tillman alias Father John Misty, dem früheren Drummer der Fleet Foxes, wartet eine große Menschentraube 45 Minuten lang in der Kälte, bis der Soundcheck beendet ist und sie in die wohlige Wärme des "Rondeels" darf.

Es gibt nicht viele Festivals, bei denen die Atmosphäre so entspannt ist wie beim Rolling Stone Weekender, aber auch keins mit einem so bizarren Ambiente. Baderutschen, Dschungelland und Minigolf irritieren J. Tillman ein wenig. "Was macht ihr nach dem Konzert? Minigolf spielen auf dieser gruseligen Anlage?", fragt er. Freizeitsport verbindet der amerikanische Sänger damit jedenfalls nicht: "Das Ding sieht aus wie eine Kunstinstallation."