Bei seiner überaus gelungenen Lesung aus dem Gesellschaftsroman “Johann Holtrop“ zeigte der Berliner die Lächerlichkeit der Wirtschaftslenker.

Hamburg. Die langen, nicht enden wollenden Sätze in dem gleichermaßen mit heißem Herzen und kühlem Blick geschriebenen Gesellschaftsroman "Johann Holtrop" sind wie geschaffen für den deklamierenden Vortrag, und deswegen fand der Berliner Schriftsteller Rainald Goetz im Thalia in der Gaußstraße eine schöne Bühne für seine Wut. Lesung aus "Johann Holtrop", ein Tisch, ein auf dem Boden liegendes "Holtrop"-Poster, eine Karaffe Wasser, ein Goetz: Mehr brauchte es nicht für einen eindrucksvollen Leseabend.

Dabei spielte auch die Selbstinszenierung des Autors eine Rolle: Der Klagenfurter Stirnschlitzer von weiland 1983 trat im Business-Outfit auf; so, als wolle er mitspielen im großen Spiel der Wirtschaftsrepublik Deutschland. Um die geht es in seinem "Johann Holtrop": um Aufstieg und Fall eines Managers, der über all den Ego-Blähungen, Intrigantenstadln, Konkurrenzkämpfen und zwanghaften visionären Budenzaubern der Unternehmenswelt erst manisch und dann verrückt wird.

Goetz' erster Roman nach mehr als zehn Jahren ist ein böser Zerrspiegel der Schröder- und der Nullerjahre, und wenn man nur ausgiebig genug in die Abgründe der Kaste der sogenannten Macher geblickt hat, bleibt einem nur ein heiteres Erschrecken: So geht es tatsächlich zu in den Fluren der börsennotierten Unternehmen, und das wissen wir sogar, obwohl wir nie dabei sind. Aber wir kennen die Geschichten um Thomas Middelhoff, den abgestürzten Bertelsmann, und den Jahrmarkt der Eitelkeiten sowieso. Die Kälte, die einen auf jeder Seite des Romans anweht, die Lächerlichkeit der Szenen, in der die Wirtschaftslenker auftreten - das hat Goetz beinah schon parodistisch aufgeschrieben. Natürlich ist die Karriere des Johann Holtrop wie die jedes Gescheiterten ein negativer Bildungsroman; Goetz trug ihn mit Furor vor.

Zur theatralischen Sendung des Vortragenden gehörte immer wieder der Griff ins Haar - als wollte er es sich raufen, weil er die moralische Verkommenheit der großen Player kaum fassen kann. Eigentlich ist Holtrops Geschichte vom Erlangen und Verlieren der Macht eine Tragikomödie, die von der notwendigen Selbstverblendung derer erzählt, die permanent möglichst viel Geld anhäufen müssen. Es geht um Effizienz und die genaue Taktung des Alltags: Goetz spiegelte dies in seine Lesung, in dem er vor den Passagen die jeweilige Dauer des zu bewältigenden Lese- und Karrierestoffs berechnete: "Vollgas. Das nächste Kapitel. Fast zehn Minuten. Holtrop ist krank."

Goetz las gleich zu Beginn die Hamburg-Stelle seines Romans (Vortrag im Übersee-Club, natürlich ist Holtrop nur von ihm Zugewandten umgeben: lauter Machern), und dann war auch schon Zeit für eine Feststellung in eigener Sache: "Im Roman sind die Wirklichkeitsfragen wichtig und nicht die Kunstfrage: Wie ist der Roman gemacht?", dekretierte der Autor - ein Einblick in die Goetz-Poetik, die von manchem Kritiker nicht für gut befunden wurde. Man warf ihm in etwa vor, er erzähle nicht im eigentliche Sinne, weil er die psychologischen Verbindungsstücke und zwischenmenschlichen Beziehungen der Personen auf ein Mindestmaß reduziere. Dazu lässt sich sagen, dass der Roman in seiner Machart noch an Qualität zu gewinnen schien: Goetz hetzte durch die Lesung wie der hysterische Holtrop dem Verschwinden entgegen.