“Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft“ ist ein gewaltiger Roman, der von den Gewaltigen erzählt, von Macht- und Medienmenschen.

Im Literaturbetrieb sind nicht alle nett zueinander, es geht da ja ziemlich viel, wie eigentlich überall, um Eifersüchteleien. Bei Rainald Goetz, dem frühen Literatur-Punk und Stirn-Aufschlitzer (in Klagenfurt 1983), dem mittleren Techno-Euphoriker ("Rave", 1998), dem heutigen Deutschland-Chronisten und manischen Zeitungsleser ( "Klage" , 2008), haben manche in den vergangenen Jahren immer gerne abgelästert: Das sei ja eine lange Schreibblockade, unter der er da leide. Fast zehn Jahre schrieb Goetz, Jahrgang 1954, einst rein gar nix.

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Und dann war er wieder da, der Berlin-Mitte-Goetz, der sich in der Kunstszene, auf den Sommerfesten und den Aktionärsversammlungen, im Reichstag herumtrieb und zum Sammler all dessen werden wollte, was die sogenannten Nullerjahre ausmachte.

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Zuerst gab es den Blog der "Vanity Fair", dann das Buch dazu, dann den Fotoband "Elfter September 2010. Bilder eines Jahrzehnts", dann das extrem gesprächige "loslabern" , in dem Goetz seine Rolle als subjektivistischer (was, genau, eine Steigerung von subjektiv ist), meinungsstarker Zeitzeuge weiter profilierte. Was fehlte, war: der Roman.

Der ist nun da, lang erwartet und von den ganz Bösen eigentlich schon abgeschrieben, aber in einer eigens beim Suhrkamp-Verlag im Lektorenbüro einberufenen Pressekonferenz vorgestellt: "Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft". Ein gewaltiger Roman, der von den Gewaltigen erzählt, also von den Macht- und Medienmenschen, die das Deutschland der Schröder- und der Nullerjahre mit ihren Eskapaden, Aufstiegen und Abstürzen durchaus unterhalten haben.

Was Goetz mit "Johann Holtrop" vorhat, ist nichts weniger als die Vermessung eines Jahrzehnts mithilfe des Wirtschaftsthrillers. Wer will, kann jedenfalls die Titelfigur Holtrop, 48 Jahre alt, Chef von 80 000 Mitarbeitern, als literarische Spiegelung des Bertelsmann-Machers Thomas Middelhoff lesen und im übrigen Personal des Romans Personen der Zeitgeschichte wie Liz Mohn oder Leo Kirch erkennen.

Im charakteristisch zackigen Rainald-Goetz-Stil marschiert der Autor durch die auf den Hund gekommene Republik, in der die Architektur ein Indiz ist für die komplette Amoralität und Gewissenlosigkeit der Mächtigen: "ein Neubau, so kaputt wie Deutschland in diesen Jahren, so hysterisch kalt und verblödet konzeptioniert, wie die Macher, die hier ihre Schreibtische hatten, sich die Welt vorstellten, weil sie selber so waren, gesteuert von Gier, der Gier, sich dauernd irgendeinen Vorteil für sich zu verschaffen, am liebsten natürlich in Form von Geld, genau darin aber, in ihrem Kalkül und Eigennutz, ausrechenbar und ausbeutbar zuletzt, das war die Basis der abstrakten Geldmaschine, die hier residierte: das Phantasma der totalen Herrschaft des KAPITALS über den Menschen."

Die Gierigen, deren herausragende Eigenschaft und Lebensinhalt die Geldgeilheit ist, sind das von innen verbrennende Kraftzentrum dieses Romans (und des Landes, dessen Beschaffenheit er schildert). Weil dem so ist, wird ohne viel Federlesens nur aus ihrem Blickwinkel erzählt, respektive: der Blick nur auf ihre Angstgetriebenheit gelenkt. In der radikalen Lesart Goetz' ist das Narrativ vom Wirtschaftsführer eben eines der middelhoffschen Art, und deswegen wird in seinem dreiteiligen Roman von Johann Holtrops Aufstieg und tiefem Fall berichtet. Dass dahinter ein tiefer Pessimismus steht, steht der wonnevollen Hingabe nicht im Wege, mit der Goetz hier ein Stück Mentalitätsgeschichte abräumt, vor allem aber die inneren Zirkel der Macht schildern will: mit all ihren existenziellen Vernichtungsfantasien und männerbündlerischen Gepflogenheiten, die am Ende die Isoliertheit des ökonomischen Menschen nie verdecken.

Die Verflechtungen des Bertelsmann nachempfundenen Medienunternehmens, wie Goetz sie nicht müde wird zu beschreiben, sind stellenweise etwas enervierend. Aber dass der wie stets Umgangs- und Hochsprache miteinander verknüpfende Schriftsteller die erzählerische Ausformulierung verweigert, sollte man ihm nicht vorwerfen: Den großen Gesellschaftsroman will, den kann Goetz vielleicht auch nicht schreiben. Zu diesem Panorama gehörte natürlich mehr als das nur en passant erwähnte Familienleben Holtrops, es gehörte auch mehr dazu, dessen intime Seite nur mit einer, na klar, Tablettensucht zu umreißen und sein persönliches Verderbnis mit einem knapp skizzierten Nervenzusammenbruch in einem Pariser Edelrestaurant.

So ist Goetz eben gerade dann furios und einfach, Entschuldigung, sauwitzig, wenn er auf schnoddrige Weise die Narzissmen der Großkopferten ausleuchtet - hier stellvertretend vorgeführt an einer Banker-Figur: "Verrückterweise wusste Zischler nicht, dass er nicht der Einzige war, der seine Kollegen für Deppen hielt, dass jeder jeden so sah, Zischler hielt sich in seinem Hochmut für einzigartig, er war hier sozusagen der absolute Superdepp."

Rainald Goetz: "Johann Holtrop". Suhrkamp. 343 S., 19,95 €