Das erfolgreiche US-Dream-Pop-Duo Beach House aus Baltimore übt sich beim ausverkauften Kampnagel-Konzert in kunstvollem Träumen.

Hamburg. Schläfrig und ein wenig erschöpft rotieren die Ventilatoren in der Bühnenkulisse vor sich hin wie in einem New Yorker Loft-Domizil. Fahrt werden sie den ganzen Abend über nicht aufnehmen. So tiefenentspannt und sediert wie die Rotierblätter klingt auch die Musik, die Beach House beim ausverkauften Kampnagel-Konzert auf Keyboards, Gitarren und Drums spielt. Mit Langeweile hat das allerdings wenig zu tun. Eher mit einer kunstvollen Unaufgeregtheit, einer Anrufung der Sehnsucht, einer Bereitschaft, Gedanken und Gefühle schweben zu lassen wie Luftballons.

Liebesschmerz? Anstehende Prüfung? Elend der Gentrifizierung? Bei der Amerika-Wahl könnte der Falsche gewinnen? Wie wohltuend ist es doch, sich einfach von der minimalistischen Inszenierung des derzeit sagenhaft erfolgreichen Duos aus Baltimore wegtragen zu lassen. Seine Musik hat keine Nebenwirkungen. Hinterlässt keinen Kater. Und spendet dennoch Trost. Zumindest vorübergehend.

Victoria Legrand steht wie eine festgeklebte Puppe hinter ihrer Tastenapparatur. Schichtet Spur um Spur ihrer schlichten und doch sehr heimeligen Analog-Klänge auf. Starren Blicks singt sie mit ihrer vernebelten und Nico-warmen Stimme durch einen Vorhang von Haaren. Von einem doppelt sehenden Vater. Vom Wein, der ein Lächeln stiehlt. Von der Vergangenheit, die sich jäh in die Gegenwart drängt. "Wild" lautet ironischerweise der Titel dieses Songs vom kritikerseits bejubelten Album "Bloom".

Und wie in den meisten Beach-House-Songs ist es ein Text voller Leerstellen. Gelegentlich werden wolkengleich Szenenumrisse erkennbar, nur um schon in der nächsten Zeile wieder im Kryptischen zu zerfallen. In "Gila" vom Vorgänger "Devotion" mischt sich zum hymnischen Gesang die verzweifelte Gitarre Alex Scallys. Auch er verschwindet unter einem Wuschelkopf, ganz Hingabe ans Shoegaze. An eine minimale Verzerrung, eine Huldigung des Psychedelischen. Ziemlich unterkomplex, dabei nie plätschernd, sondern filigran und dicht. Auch der wohldosiert seine Schläge setzende Tour-Drummer hält wenig Blickkontakt mit der Fanschar und würde sich wohl am liebsten ganz in den Nebel wegducken.

In dem verwunschenen "Walk In The Park" oder auch in "The Hours" mischt sich aufs Wunderbarste die große kalifornische Geste eines Brian Wilson mit der desillusionierten Dream-Pop-Attitüde von This Mortal Coil. Im driftenden "Myth" wendet sich Legrand wie häufig an ein "Du", das sie um Hilfe bei der Geschichtenerfindung anruft. Ihre Stimme steigt dabei so in die Tiefe, dass ein Besucher seiner Nachbarin zumurmelt: "Nee, das ist gar keine Frau."

Das verspielt, versöhnlich klimpernde "Lazuli" und das elegische "Wishes" erinnern daran, dass Legrand, die einen erfolgreichen Filmmusikkomponisten als Onkel vorzuweisen hat, in Teenagertagen viele Stunden auf ihrem Bett verbrachte, in aller Unschuld von der romantischen Liebe träumend und wahrscheinlich Françoise Hardy hörend. Mit Romantik hat die Musik von Beach House wenig gemein. Sie versetzt zurück in jene Tage, als jede Sehnsucht sich frisch und neu anfühlte. Für jede Zuschreibung von Süßlichkeit oder Kitsch ist sie nicht zu gebrauchen. Legrand verliert in den gut 100 Minuten kaum ein nennenswertes Wort an die Menge. Distanz ist Trumpf.

Nichts soll die Konzentration auf das Wesentliche, die Musik, stören. Insofern erweist sich die Kombination von Beach House mit dem Londoner DJ Holy Other als ausgesprochen glücklich. Der verbarg in der Vergangenheit sein Haupt unter einer schwarzen Gardine. Hier präsentiert er seine schwebende Elektronik völlig offen und liefert die perfekte Einstimmung. Sphärisch und düster. Selten wurde die Intensität an einem Konzertabend derart kunstvoll gefeiert.