Wendy Cooling fördert das Lesen bei Kindern und Erwachsenen. Ihr Motto: Egal ob Comics oder Sportberichte, Hauptsache, Lesen macht Spaß.

Hamburg. Die Engländerin Wendy Cooling hat schon vieles im Leben gemacht. Sie war Lehrerin, hat Literaturfestivals organisiert, sie berät Verlage, schreibt Kinderbücher, aber bekannt geworden ist sie vor allem, weil sie vor 20 Jahren das Projekt Bookstart (Buchstart) gegründet hat. Dabei geht es darum, Eltern zu ermuntern, mit ihren Kindern, auch wenn diese noch im Säuglingsalter sind, Bücher zu lesen, anzuschauen, durchzublättern, nachzuerzählen. Buchstart ist in die ganze Welt übertragen worden, seit sechs Jahren gibt es diese Initiative auch in Hamburg. Rund 18 000 Buchstart-Taschen mit Bilderbüchern, Bücherhallengutschein und Informationen werden jedes Jahr kostenlos über die Hamburger Kinderärzte an Familien mit einjährigen Kindern verteilt. Die 100 000. dieser Taschen hat Bürgermeister Olaf Scholz kürzlich überreicht.

Wendy Cooling, die auf Einladung des Vereins Seiteneinsteiger und der Joachim-Herz-Stiftung zu einem Vortrag in Hamburg war, erklärt gerne, wie sie zu ihrer Lebensaufgabe, der Leseförderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, kam: "Bei einer Einschulung habe ich erlebt, wie eine Lehrerin am ersten Schultag jedem Kind ein Buch in die Hand drückte. Ein kleiner Junge hatte ganz offensichtlich noch nie ein Buch gesehen. Er biss hinein, setzte sich drauf, roch daran, wusste nichts damit anzufangen. Erst als er die anderen beobachtete, wie sie in ihren Büchern blätterten, traute er sich auch, es zu öffnen. Ich fand es sehr traurig, dass das Kind, schon bei der ersten Aufgabe, die es in der Schule bekam, versagte. Ich überlegte mir, was ich dagegen tun könnte, recherchierte, was in anderen Teilen der Welt an Leseförderung betrieben wird. Die meisten Programme richteten sich an spezielle Interessenten. Ich wollte alle Kinder erreichen, deshalb musste es kostenlos sein."

Bald fanden sich Sponsoren, lokale Veranstalter, die mitmachten. Die Politik interessierte sich erst zehn Jahre später. Seitdem bekommt jedes der 700 000 Neugeborenen in Großbritannien zwei Bücher geschenkt, im Alter von 18 Monaten gibt es weitere zwei Bücher, und mit dem Schuleintritt gibt es noch einmal zwei Bücher. "Das Lesevermögen ist in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden", weiß Cooling. Sie hat für Eltern, die ihre Kinder zum Lesen verleiten möchten, den Rat: "Niemals zum Lesen zwingen". Und: "Alles, was Kinder lesen, ist gut, Comics, Sportberichte und auch Online-Texte. Wichtig ist, dass man von Texten gefesselt sein muss, um gerne zu lesen." Eltern sollten allerdings Anteil nehmen am Lesen ihrer Kinder. Bei einer Studie der Universität Hamburg stellte sich heraus, dass Zweijährige aus Hamburg, die Buchstart-Bücher bekommen hatten, deutlich mehr Wörter kannten als Gleichaltrige aus Bremen, die keine Buchpakete erhalten hatten.

Über Teenager, die lesen können, aber es nicht wollen, sollten sich Eltern keine Gedanken machen, solange die Kinder "irgendetwas lesen". Jedes Lesen ist wichtig und führt oft dazu, dass man neue Kompetenzen erreicht und mehr lesen will. Wir lesen doch auch nicht ständig nur gute Bücher. Kinder zum Lesen zu zwingen ist sicher der falsche Weg, das führt zu Verweigerung." Am besten sei es, Jugendliche einander Bücher empfehlen zu lassen, sei es durch soziale Netze oder durch Jurys, die man an Schulen oder in Vereinen etabliert. "Es gibt keine einfachen Antworten", weiß Cooling "es ist ein langer, steiniger Weg, und für jedes Kind führt er anderswo entlang."

20 Prozent aller Erwachsenen verfügen nicht über ausreichende Lesekompetenz, weiß Wendy Cooling. "Erwachsene müssen über ihren Schatten springen und Hilfe suchen. Es gibt viele Programme. Wenn man zugegeben hat, dass man nicht lesen kann, findet man Hilfe." Cooling kann sich bei ihrem Hamburg-Besuch gut in Analphabeten hineindenken. "Ich spreche kein Deutsch, kann hier nichts lesen. Ich bin geradezu hilflos, das ist kein schönes Gefühl", weiß sie. Lesen ist die Eintrittskarte in die Welt des Wissens. "Jeder soll sie haben", sagt Wendy Cooling.

Der Hamburger Verein für Leseförderung: www.seiteneinsteiger-hamburg.de