Schmökern macht Spaß - und ist auch Voraussetzung für den Erfolg eines Menschen.

Die Aufforderung "Lies mal wieder ein Buch" ruft bei den meisten Menschen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, wahrscheinlich ähnlich viel Begeisterung hervor wie der Satz "Iss nicht so viel Süßes", "Mach mal wieder Sport" oder "Räum bitte auf". Zu wissen, was gut und sinnvoll ist, heißt eben nicht, dass man es auch tut. Man braucht Verlockungen, Anreize und die Erfahrung, dass Mühe Spaß macht und "etwas bringt".

Viele Menschen wissen allerdings gar nicht mehr, wie wichtig Lesen auch im digitalen Zeitalter ist. Knapp 20 Prozent aller Deutschen gelten als strukturelle Analphabeten, können gar nicht oder nur bruchstückhaft lesen. Eine Wissensgesellschaft wie unsere kann diesen enormen Teil der Bevölkerung nicht einfach sich selbst überlassen. Und so versuchen seit ein paar Jahren - auch weil Deutschland bei der PISA-Studie im Fall "Lesekompetenz" und bei den Ausgaben für Bildung immer wieder schlecht abgeschnitten hat - Lehrer und Bibliothekare, Leseklubs und -förderer, -mentoren und -motivatoren, Lesepaten und -busse, Wettbewerbe oder Aktionen wie der "Tag des Buches" oder "Deutschland liest vor", die Menschen zum Lesen zu verführen.

"Viel hilft viel" stimmt zwar nicht immer, in diesem Fall aber schon. Die Zahl der extrem schwachen Schüler hat sich in den vergangenen Jahren von einem Viertel auf ein Fünftel reduziert, und die 5000 Kinder- und Jugendbücher, die pro Jahr erscheinen, nehmen mit elf Prozent den größten Anteil am gesamten Buchmarkt ein. Allmählich hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Weichen für die Bildungskarriere im Vorschulalter gestellt werden müssen. Die Notwendigkeit, Kinder schon in der Familie, in der Krippe und im Kindergarten zu fördern und spielerisch zu bilden, wird von niemandem mehr bestritten, auch wenn es mit der Umsetzung der Erkenntnis noch hapert.

Dass die Fähigkeit zu lesen direkt Einkommen, Arbeit und Gesundheit beeinflusst, dass Menschen mit geringer Lesekompetenz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit staatliche Unterstützung brauchen und eher kriminell werden, hat eine Studie der OECD bewiesen. Lesefähigkeit ist also eine Voraussetzung für Erfolg im Leben. Hinter dieser Einsicht steht kein bildungsbürgerlicher Dünkel, sondern kühle wirtschaftliche Berechnung.

Doch Aufrufe allein sind selten von Nutzen. Viel besser ist es da, eine Idee zu haben, Mitstreiter zu finden, Politiker zu überzeugen und die gute Sache mit viel Engagement und Elan zu verwirklichen. Die Engländerin Wendy Cooling hat mit "Buchstart" vor 20 Jahren ein Projekt begonnen, das jedes Kind mit Büchern beschenkt. Seit 2007 bekommt auch in Hamburg jedes Kleinkind ein Bücherpaket. Das ist nicht nur eine tolle Idee, sondern eine Art Überlebenspaket für ein Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung glaubt, Lesen sei Zeitverschwendung. Vier Stunden am Tag den Fernseher laufen zu haben, endlos zu telefonieren oder Stunden beim Chatten zu verbringen gilt dagegen als Freizeitvergnügen.

Möglicherweise haben viele Menschen Lesen als lern- und leistungsbezogen kennengelernt, als etwas, das man tun muss, das deshalb keinen Spaß machen kann. Wo Finanzjongleure nur noch AAA lesen, Literaturstudenten keinen Kleist-Text mehr verstehen, Autoren Textbausteine kopieren, wo junge Mütter ins Handy starren, statt mit ihrem Kind Bilderbücher anzugucken, und junge Väter Vorlesen langweilig finden, liegt's mit der Freude an Bildern und Büchern im Argen. Lesen ist hart erlerntes Handwerk, Hirnarbeit. Aber es verbindet uns mit unseren Mitmenschen. Es muss ja keinesfalls "das gute Buch" sein, das man lesen soll. Aber stellen wir uns mal vor, wir wären in einem Land, in dem wir die Schrift nicht entziffern könnten - wie schrecklich einsam wäre man da.