Nach dem Abschied von Dauer-Chef Wolfgang Wagner sieht man Kinder auf dem Grünen Hügel - und viel Lila.

Bayreuth. Richard Wagners Festspielhaus steht noch, die viel belästerte "Scheune" mit den harten Sitzen. Zur Saison-Eröffnung - wie alle Jahre am 25. Juli - kamen die Kanzlerin aus Berlin, der Bayern-Ministerpräsident aus München, der griechische Staatspräsident sowie Macht, Glanz und Glamour aus vielen Ländern der Erde. Und das, obwohl nur wieder Christoph Marthalers freudlos-depressive Sicht auf Wagners "Tristan und Isolde" (Premiere war 2005) auf dem Eröffnungsprogramm stand.

Geändert hat sich trotzdem vieles, seit Dauer-Chef Wolfgang Wagner - er wird am 30. August 90 - im vergangenen Jahr seinen Abschied nahm: Statt der "Blauen Mädchen" im eleganten Kostüm weisen jetzt sachlich graue Mäuse im Hosenanzug zu den Plätzen, einziger Farbtupfer: ein lilafarbener Schal. Lila ist überhaupt in: Als Leitfarbe der neuen Corporate Identity macht der Farbton mit der klerikalen Konnotation in jedem Logo den weihevollen Touch sichtbar, den die Richard-Wagner-Festspiele auch im 98. Jahr ihres Bestehens kaum ohne schwere Proteste loswerden könnten und besser auch nicht loswerden wollen. Neu bzw. wieder da sind Programmhefte zu jedem Stück. Neu sind auch festivaleigene Einführungsvorträge vor jeder Aufführung und ein empfehlenswerter Internet-Auftritt ohne allzu großen Tiefgang, der mit Filmchen und täglichem Podcast für Neugierige und Fans Einblicke in das Haus und die Arbeit dort gibt ( www.bayreuther-festspiele.de ). Neu ist auch der Platz von Lilo Heuberger (84), die seit Anfang der 60er-Jahre bei den Festspielen Operngläser verleiht: Aus der Mitte des Foyers musste sie weichen - einem Festspiel-Shop, in dem man nun hauseigene Memorabilien erwerben kann. Jetzt residiert sie in einem Winkel im rechten Teil des Foyers.

Völlig neu war auch der Mini-Auftritt des neuen Leitungsduos bei der Pressekonferenz vor dem Auftakt der Festspiele: Die Halbschwestern Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier kamen in die "Silver Lounge", sagten der internationalen Journalistenschar gemeinsam guten Tag und dass sie ab jetzt häufiger gemeinsam auftreten wollen, und verschwanden sofort wieder, um Platz für Fragen zum Marthaler-"Tristan" zu machen - die aber kaum noch jemand hatte. Dafür gab's eine Stunde später eine weitere Fragerunde, ohne Eva Wagner-Pasquier, und auf Probebühne IV, wo kurz darauf am Sonnabendmittag die einzige Bayreuth-Premiere dieses Jahres über die Bühne ging. "Der Fliegende Holländer" für Kinder, produziert von der Mediengesellschaft der Festspiele (BF-Medien), die auch fürs Public Viewing und den Internet-Auftritt verantwortlich zeichnet.

Dieser "Holländer" ist wirklich sehenswert. Sinnvoll gekürzt und arrangiert auf einladende 75 Minuten wird die alte Schauergeschichte von einem alten Seemann (Frank Engelhardt) in heutiger Sprache erzählt, nicht zu schwierig, aber auch nicht anbiedernd.

Gesungen wird fast durchweg auf hohem stimmlichen Niveau - herausragend sind dabei der Holländer-Bariton von Dmitri Orlov, die überzeugend jugendlich wirkende, stimm- und ausdrucksstarke Senta (Anna Gabler) und der dunkel-profunde Bass von Kapitän Daland (Diógenes Randes), während der Erik von Florian Hoffmann tenoralen Glanz bei der Premiere noch vermissen ließ.

Zusammen mit dem kleinen Chor und den 19 hochmotivierten jungen Musikern der Kammerphilharmonie Leipzig unter der Leitung von Christoph Ulrich Meier kam in dem relativ kleinen Raum ein voller Opernklang zustande; die Inszenierung (Alvaro Schoeck) sorgte für Gruselstimmung und Knalleffekte, bezog die jungen Zuschauer ganz selbstverständlich ein, ohne dass pädagogische Zeigefinger sichtbar wurden.

Die Kinder - das Wunschpublikum der zehn ausverkauften Vorstellungen ist sechs bis zehn Jahre alt - ließen sich mühelos in die Kurzoper hineinziehen und anrühren, gaben dem Erzähler kecke Antworten und fanden wohl auch für Sentas Verschwinden mit dem Holländer am Ende (die beiden fliehen durch ein Oberlicht der Probebühne) eigene Erklärungen. Ein außerordentlich gelungener Auftakt der neuen Reihe, der vielen Zuhörern emotional unter die Haut ging und ganz sicher neugierig machte auf mehr. Das fand ohne Einschränkung auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, die extra für die Kinderoper nach Bayreuth reiste und nach dem Erwachsene ganz schön fordernden Spektakel (man sitzt auf ansteigenden Podesten ohne Rückenlehne) ganz begeistert applaudierte.

Kaum weniger enthusiastisch beklatscht wurde kurz darauf die "große" Eröffnung im Festspielhaus. Obwohl man sich an Marthalers Depri-Tristan auch beim wiederholten Anschauen kaum gewöhnen mag. Zwar ist der Kontrast der liebesfeindlichen Verhältnisse zur liebestrunkenen Musik Wagners konsequent durchkonstruiert: Doch die verklemmte, unterkühlte, hilflose Zerstörung der Möglichkeit von Liebe funktioniert am Ende oft einfach nur als Musikbremse. Das könnten großartige Sänger herausreißen. Robert Dean Smith bringt abermals vieles mit, was ein "Tristan"-Tenor braucht, und überzeugt - jedes Wort fein ausmodelliert - in den fein ausgesungenen lyrischen Partien. Wenn jedoch die Wogen der Gefühle Kraft, Glanz und Stahl aus den Stimmbändern fordern, singt ihn seine Isolde (die Schwedin Irène Theron) mühelos an die Wand. Sie hat unbändige Kraft, die im Übermaß eingesetzt aber der Textverständlichkeit erheblich im Weg steht und manchmal etwas scharf und eindimensional wirken kann. Sie verließ sich nur manchmal auf ihr feines Piano, das sich dann aber vorzüglich über dem bemerkenswert transparent aufspielenden Festspielorchester unter Peter Schneider behaupten konnte. Absolut auf Augenhöhe mit Isolde agierte die Brangäne von Michelle Breedt, die die warmen Seiten ihres Timbres allerdings noch klüger einsetzte. Robert Holl (König Marke) schlug sich wacker, und Jukka Rasilainen (Kurwenal) entwickelte sich im dritten Akt zum stimmmächtigen Partner des Titelhelden. Am Ende gewann Wagners Musik die Auseinandersetzung mit Marthalers Regie unangefochten und eindeutig.

So beginnt Bayreuth 2009 auf der Bühne unverändert, hat sich außerhalb davon hier und da aber sichtbar auf den Weg ins Hier und Heute gemacht. Und wir wollen hoffen, dass Corporate-Identity-Overkílls wie der lilafarbene Anzug (samt passender Krawatte und Streifen auf den Turnschuhen) des agil-kreativen BF-Medienchefs Alexander Busche der Euphorie der Kinderopern-Premiere geschuldet waren.