Wer Karten tauscht, benutzt einen komplizierten Code. Der Rest aber ist einfach in Bayreuth. Es gibt nur ein Thema: Wagner.

Bayreuth / Berlin. Der Streik der Bühnenarbeiter ist quasi im letzten Augenblick abgewendet worden, die 98. Bayreuther Festspiele können also mit der ersten "Tristan"-Vorstellung beginnen. Die Kanzlerin wird da sein, Karl-Theodor zu Guttenberg, der Shootingstar ihres Kabinetts, steht auch auf der Gästeliste, und Horst Seehofer, Bayerns neuer Ministerpräsident, wird ebenfalls auf dem roten Teppich unterwegs sein. (Ein Mann, von dem man bislang gar nicht wusste, dass er etwas für Wagner übrig hat.)

Echte Wagnerianer kommen allerdings lieber im Anschluss an die Premierenwoche. Wenn die da sind, die in Bayreuth nur eins wollen: Wagner hören, über Wagner nachdenken und stundenlang über Wagner reden. Und das geht ja nirgendwo besser als in dieser oberfränkischen Kleinstadt, wo zwischen dem 25. Juli und dem 28. August nichts, aber auch gar nichts vom Wesentlichen ablenkt. Wo kaum jemand Nachhilfe braucht. (Eine Ausnahme bilden die beiden geschlossenen "Gewerkschaftsaufführungen", die seit den fünfziger Jahren auch Nichtsahnende mit Wagner konfrontieren, was die anderen, die erbittert um ihre Karten kämpfen, regelmäßig auf die Palme bringt.)

Eine örtliche Buchhandlung, die während der Festspiele immer eine kleine Dependance auf dem Grünen Hügel aufmacht, hält selbstverständlich Textbücher in allen gängigen Sprachen bereit, verkauft davon aber pro Tag höchstens zehn bis fünfzehn Exemplare, was angesichts der 1974 Plätze im Festspielhaus eine verschwindend geringe Zahl ist. Apropos Bücher. Eine der Novitäten in diesem Sommer ist das neue Buch von Oliver Hilmes, an dem der Titel zweifellos das Beste ist: "Cosimas Kinder". Auf 300 Seiten schleppen sich "Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie", so der Untertitel, dahin - und stilistisch ist die Zusammenschreibe dessen, was man im Prinzip schon immer wusste, genauso ärgerlich wie die von Hilmes vor zwei Jahren vorgelegte Cosima-Wagner-Biografie.

Selbstverständlich pilgern zur Festspielzeit auch Menschen nach Bayreuth, die noch keine Karten haben. Sie schieben Wache vor dem Kasseneingang, der seinen Namen nicht verdient, weil es in Bayreuth gar keine Karten zu kaufen gibt. Die werden nämlich im September bestellt und im Januar verschickt. Hoffen kann man also nur, "dass etwas zurückkommt", dass also jemand krank geworden ist, die "Meistersinger" nicht absitzen will oder Marthalers "Tristan"-Inszenierung nicht verknusen kann.

In dem Fall wendet er sich aber vermutlich an die Lokalzeitung, in der man täglich hieroglyphische Anzeigen finden kann, die nur Kenner deuten können. Anzeigen wie diese: "Tausche 2 T IV gegen 2 P III!" Soll heißen, dass hier einer seine beiden "Tristan"-Karten für den 13. August gegen zwei Karten für den "Parsifal" am 15. August eintauschen will. Ach ja: Die Bayreuther beklagen sich bei ihren auswärtigen Gästen gern, dass sie ja "nie!" Karten für die Festspiele kriegen! Darauf sollte man aber nicht hereinfallen. Denn erstens kann jeder Mensch Karten bestellen und erst mal sieben Jahre vergeblich warten, und zweitens sitzen die Bayreuther natürlich in allen Generalproben.

Während Bayreuth für die Wagnerianer dieser Welt also immer noch derselbe Sehnsuchtsort ist wie einst für Friedrich Nietzsche ("Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth zusammen und wissen gar nicht mehr, wie man es anderswo aushalten konnte ..."), ist der seit drei Jahren amtierende Oberbürgermeister Michael Hohl der Ansicht, dass es der Stadt nicht gut getan habe, sich allein auf die Anziehungskraft Richard Wagners zu verlassen. "Wir haben", meint der CSU-Politiker, "einige Jahrzehnte lang nicht nach links und nicht nach rechts geschaut." Das soll anders werden. Man bewirbt sich um den Unesco-Welterbe-Titel mit den Rokoko-Schätzen, die Markgräfin Wilhelmine der Stadt hinterlassen hat - die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, die 1731 nach Bayreuth heiratete und dort das bezauberndste Opernhaus in Auftrag gab, das sich denken lässt.

Die Wagnerianer sollten sich über Hohls Strategie nicht ärgern. Wilhelmines Schätzkästchen hat Richard Wagner ja bekanntlich auch gefallen. Es war ihm eben nur zu klein für die Uraufführung seines "Rings", den Friedrich Nietzsche hingerissen "die erste Weltumsegelung im Reiche der Kunst" genannt hat.