“Zeit zu lieben“ steht auffordernd auf dem T-Shirt des Kartenabreißers in der Gaußstraße. Es ist ein Shirt aus der hauseigenen Thalia-Kollektion, der Spruch darauf stammt aus einem Stück von Armin Petras.

Fast neun Jahre ist es nun her, dass der Autor und Regisseur die Ottenser Spielstätte, unverzichtbarer Teil der Thalia-Seele, mit einer Inszenierung eröffnete, immer wieder war er seither mit wegweisenden Produktionen zu Gast (darunter 2003 "zeit zu lieben zeit zu sterben"). Nun geht die Intendanz von Ulrich Khuon zu Ende, und noch einmal ist es Petras, der hier einen Auftakt bestreitet: den der letzten Autorentheatertage. Fast klingt der Titel seiner Uraufführung wie die traurige Antwort auf den T-Shirt-Spruch: "Rose oder Liebe ist nicht genug".

Liebe ist nicht genug. Und doch manchmal alles, was wir haben.

In einem versifften Tonstudio, zwischen billigem Whisky, zu vielen Zigaretten und Koks, versuchen sich die schwangere Gina (in Höchstform und mit Gossenstimme: Susanne Wolff) und der verplante Gitarrist Eddie (Peter Moltzen) an einem Paar-Dasein. Gefühle klaffen in diesem Milieu roh wie offene Wunden; manchmal werden Rocksongs daraus, manchmal bleibt nur Schmerz. "Liebe" ist hier (wie überall?) alles Mögliche: Angst vorm Alleinsein, Angst vor der Veränderung und Halt in einem weitgehend verkorksten Leben.

Als Gina von einem überdrehten Produzenten (Andreas Döhler) erst angegraben und dann zusammengeschlagen wird, rastet Eddie aus. Er prügelt den Produzenten zum Krüppel und kommt in die Psychiatrie. Zehn Jahre, in denen für ihn das Leben stehen bleibt. Nicht für Gina. Sie bekommt die gemeinsame Tochter Rose - und zwei weitere Kinder mit einem adretten Vorstadtkerl (Daniel Hoevels), der weiße Tennissocken trägt und auch sonst vor allem Bausparvertrag ausstrahlt.

Nach Eddies Entlassung jedoch bricht die Vergangenheit in diese oberflächlich perfekte Gegenwart, der Schorf auf sorgsam verkrusteten Gefühlen reißt auf. Gina kehrt zu Ed zurück, trotz der Ahnung einer neuen Katastrophe. Denn auch wenn Liebe oft nicht genug ist - keine Liebe ist erst recht zu wenig. Es geht doch - und nicht nur bei den Kopflosen - immer um das irgendwie "echte" Gefühl, das irgendwie "richtige" Leben. Den Schauspielern dabei zuzuschauen, ist großartig, und sei es bloß bei einem Detail wie Susanne Wolffs hektisches Wegwedeln ihres Zigarettenqualms vom Schwangerschaftsbauch. Trotz mancher Übertreibung und hübscher Albernheiten wie dem Eimer Wasser über der Tür (ja, diese triefnassen Figuren stehen so richtig im Regen) verleiht das Ensemble, allen voran Wolff und Hoevels, ihren Figuren große Wärme und Würde.

Nach dem Schlussapplaus nennt Ulrich Khuon Armin Petras das "Rückgrat der Gaußstraße", und bekennt, sichtlich gerührt: "Wir lieben diesen Ort." Diese letzten Autorentheatertage sind, bevor Khuon endgültig nach Berlin aufbricht, noch einmal genau das: Zeit zu lieben. Und Zeit, Abschied zu nehmen.