Zum Start der Bücherschau wird traditionell der Deutsche Buchpreis verliehen. Doch das Gütesiegel führt nur manchmal zum Erfolg.

Frankfurt. Der Deutsche Buchpreis, der heute Abend zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse (6.-10.10.) im altehrwürdigen Kaisersaal des Frankfurter Römers übergeben wird, ist eine lohnende und ein wenig ärgerliche Sache zugleich. Verschafft er doch dem Medium Buch die Aufmerksamkeit, die es viel öfter verdiente; und obendrein macht es einen Autor auf einen Schlag bekannt, Buchpreis-Gewinner werden in der Regel Bestseller.

Der allenthalben geäußerte Vorwurf, die Preistümelei verstelle leider den Blick auf die vielen anderen Erscheinungen, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen und wäre nur dann zu vernachlässigen, würde er nicht durch eine interessante Beobachtung gestützt: Die Titel, die auf der sogenannten Shortlist stehen und sich um insgesamt 37 500 Euro Preisgeld bewerben, finden bislang wenig Anklang.

Im Gegenteil werden die sechs Nominierten vor der diesjährigen Preisverleihung mit Nichtbeachtung gestraft. Keiner der Titel ist zum Beispiel in der "Spiegel"-Bestsellerliste zu finden, und auch in den "Amazon"-Charts stehen die Bücher samt und sonders nicht unter den ersten 100. Es sieht sehr so aus, als würde im Buchpreis-Jahr 2010 (wenn überhaupt) nur der Sieger in den Fokus rücken.

Was die wie immer delikate und nicht wirklich zu beantwortende Frage nach sich zieht, ob die Jury möglicherweise nach den falschen Kriterien auswählt. Das tut sie nicht, obwohl die Endrunde nach Proporz klingt: sechs Verlage, drei Länder, west- und ostdeutsche Autoren. Dies ist aber nicht mehr als ein Bekenntnis zum Vielerlei, was per se gut ist. An der literarischen Güte der Titel liegt das mangelnde Interesse nicht, die Auslese des vergangenen Buchjahres, das immer von Herbst zu Herbst geht, ist diesmal sogar ziemlich interessant: Mit Jan Faktor ("Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag", der Titel ist ... schwierig, zugegeben) und Peter Wawerzinek ("Rabenliebe") sind zwei ostdeutsche Autoren dabei, die hinter dem Eisernen Vorhang sozialisiert sind. Faktor, der bereits für den Leipziger Preis nominiert war, erzählt eine (erotische) tragikomische Coming-of-age-Geschichte, in der ein mit Erlebnissen wuchernder Ich-Erzähler seinen Elternhäusern entkommen will. Wawerzinek löst sich in seiner Lebenserzählung - die des Kindes, das von der Mutter in der DDR zurückgelassen wird - von dem Trauma, er erhielt für den Roman im Sommer bereits den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis.

Der etablierteste Autor auf der Shortlist ist Thomas Lehr, dessen 9/11-Roman "September. Fata Morgana" ein fesselndes, nicht leicht zu lesendes Stück ist, ein starker Parallelflug durch zwei Kulturkreise, die von kriegerischen Handlungen erschüttert werden.

Auch die jüngeren Stimmen der deutschsprachigen Literatur überzeugen: Melinda Nadj Abonjis "Tauben fliegen auf" (eine jugoslawisch-schweizerische Emigrantengeschichte) und Doron Rabinovicis schlank-kluges "Andernorts" natürlich, und die Debütantin Judith Zander, die schon für den Klaus-Michael-Kühne-Preis des Hamburger Harbour Front Festivals nominiert war und ein polyphones Provinzorchester zusammentrommelt in "Dinge, die wir heute sagten", hat ebenfalls Talent. Niemand von den auf der Liste vertretenen Autoren erzählt volkstümlicher - und dennoch kunstvoll.

Manch gestandener Kritiker hätte gerade die erst 30-jährige Zander lieber nicht auf der Liste gesehen und stattdessen Martin Mosebach. Er hätte den Preis verdient, übrigens. "Was davor geschah" steht seltsamerweise nicht zur Wahl (schaffte es aber es auf die Bestsellerliste). Wer will schon ernsthaft nach einer Antwort auf das Desinteresse an allen Autoren fahnden: Die Menschen lesen eben lieber Krimis (Adler-Olsen!), Hirnrissiges (Jaud!) oder Fantasievollstes (Funke!).