Das legendäre Studio Babelsberg feiert 100. Jubiläum: In einer umgebauten Fabrik wurde im Februar 1912 der deutsche Film geboren.

Seine Utopie sehe ganz einfach aus, hat Volker Schlöndorff gesagt, als er nach der deutschen Wiedervereinigung die Leitung von Studio Babelsberg übernahm. "In der einen Halle dreht Wim Wenders oder Werner Herzog, in der daneben Louis Malle oder Claude Chabrol, da kommen Engländer wie Peter Greenaway oder Amerikaner wie Martin Scorsese. Und in der Kantine treffen sich alle, diskutieren, planen, hecken neue Filme aus. So einen Ort der ständigen Begegnungen, der Bündelung der Kräfte und Phantasie will ich schaffen - wie es hier bei der Ufa einmal war, bevor die Nazis alles zerstörten ..."

20 Jahre später ist Schlöndorff lange weg, aber der Traum ist in Erfüllung gegangen. Heute ist es völlig normal, Brad Pitt oder Tom Cruise, Diane Kruger oder Cate Blanchett am Set zu sehen, und Filme, die in Babelsberg entstehen, werden in Los Angeles mit Oscars dekoriert. "Der Pianist", "Die Fälscher", "Der Vorleser", "Inglorious Basterds" ...

+++ Studio Babelsberg bildet deutsche Geschichte ab +++

Gerade sind die Studios 100 Jahre alt geworden. Am 12. Februar 1912 begannen die Dreharbeiten zu Urban Gads Stummfilmdrama "Der Totentanz". Der Regisseur hatte das Drehbuch selbst geschrieben, die Hauptrolle spielte Asta Nielsen, hinter der Kamera stand Guido Seeber. Dass die beiden Männer ihre Eifersucht nur mühsam unterdrücken konnten, stachelte die dänische Diva nur noch mehr an. Als der Film ins Kino kam, hieß es in der Zeitschrift "Bild und Film" empört: "Sie tanzt eine Art Schlangentanz, einen Bauchtanz. Bewegungen wie die eines Panthers, darauf berechnet, die Sinnlichkeit aufzupeitschen; so tanzen die verkäuflichen Frauen in den orientalischen Städten."

Um es kurz zu machen: Der allererste Babelsberg-Film wurde das, was man heute einen Blockbuster nennt. Übrig geblieben sind davon allerdings nur 23 Minuten, von Nielsens Tanz leider so gut wie gar nichts mehr. Immerhin glaubt man in einer Szene das berühmte Fransentuch zu erkennen, das der Nielsen abwechselnd als Kleid oder als Tischdecke in ihrer Berliner Wohnung in der Fasanenstraße gedient haben soll.

Bis zu ihrem Tod im Mai 1972 hat Asta Nielsen erzählt, dass für ihre Filme "das erste große Filmatelier in Deutschland" errichtet worden ist. Das stimmt. Denn die Deutsche Bioscop GmbH, die mit Nielsen und Gad schon sechs erfolgreiche Filme an der Berliner Chausseestraße gedreht hatte - aus Nielsens Sicht handelte es sich bei diesen Ateliers um "ein paar dürftige Bodenräume" -, wollte sich dringend vergrößern. Seeber, der nicht nur fester Kameramann der Bioscop war, sondern auch deren technischer Leiter, machte sich deshalb im Umland auf die Suche nach einem Platz mit optimalen Lichtverhältnissen und Erweiterungsmöglichkeiten. In Babelsberg fand er ein stillgelegtes Fabrikgebäude auf einem großen Freigelände, das mit der Wannseebahn schnell und direkt zu erreichen war. Die Bioscop pachtete es und beantragte im Oktober 1911 die Baugenehmigung für ein Glashaus als Anbau. Es wurde das modernste Filmstudio der Zeit, mit kittloser Spezialverglasung - der Einfall des Tageslichts sollte möglichst unbeeinträchtigt bleiben.

Das war der Anfang von Babelsberg. Eine Pioniertat.

Wenn Carl Woebcken auf die Geschichte des Unternehmens zurückschaut, das er seit 2004 gemeinsam mit Christoph Fisser führt, gibt er sich allerdings gern ungerührt. "Das interessiert keinen mehr", sagt der 55-Jährige. "Das gehört in die Vitrine." Filmgeschäft, soll das heißen, ist ein hartes Geschäft, und für Sentimentalitäten kann man sich nichts kaufen. Andererseits ist Woebcken natürlich klar: Auch Hollywoodstars wissen sehr genau, dass sie sich in Babelsberg auf geheiligtem Gelände befinden. Dass Babelsberg eine der ältesten und feinsten Marken im internationalen Filmgeschäft ist.

Zu den Heiligtümern gehören zum Beispiel die alten Holzdielen im Umgang der Marlene-Dietrich-Halle, die tatsächlich noch aus der Zeit stammen, als hier "Der Blaue Engel" gedreht wurde, der berühmteste Babelsberg-Film neben Fritz Langs "Metropolis", dieser monströsen Materialschlacht, in der 36 000 Komparsen zum Einsatz kamen und 1 300 000 Meter Film belichtet wurden. Von Mai 1925 bis Oktober 1926 dauerten die Dreharbeiten, die Studios hatten inzwischen den Besitzer gewechselt. Hausherr war nun die Universum-Film AG (Ufa), und deren Chef Erich Pommer erwartete von seinen Star-Regisseuren Lang, Lubitsch und Murnau vor allem nie Gesehenes. "Erfindet bitte etwas Neues", rief er ihnen zu, "auch wenn es verrückt sein sollte!"

Tatsächlich waren die Kollegen in Hollywood sprachlos, als im Januar 1925 Murnaus Stummfilmtragödie "Der letzte Mann" in Amerika anlief. Einer der beiden Chefausstatter berichtete später, bei der Ufa seien etliche Telegramme eingetroffen: "Wo und mit welchen Apparaten habt ihr den Streifen gedreht? Unseres Wissens existiert weder eine solche Kamera noch eine Großstadt dieser Art!"

Hollywood war vielleicht Perfektion - Babelsberg war Avantgarde. In der "Bauhütte" der Ufa-Ateliers wurde die Welt neu erschaffen, und sie brachte Filme hervor, "deren Kühnheit die Zuschauer berauschte" (Fritz Lang). "Feuerlöscher, Wasserdampf, der aus Dutzenden von Rohren hervorquillt, dazu noch Dämpfe der verschiedensten Säurearten, alles durch Flugzeugmotoren im Chaos herumgewirbelt" - so beschrieb Murnaus Kameramann die Szene der Teufelsbeschwörung im "Faust"-Film, und dank der von Murnau "entfesselten Kamera" schienen Emil Jannings und Gösta Ekmann tatsächlich auf Mephistos Mantel zu fliegen ...

Angesichts von so viel Experimentierfreude wirkt es heute fast unverständlich, dass sich die Ufa dem Tonfilm so lange verschloss. Erst 1929, nachdem eine Abordnung in Amerika gewesen war und erlebt hatte, wie dort die neue Entwicklung die Kinos überrollte, entschloss man sich in Babelsberg, geeignete Ateliers zu bauen. War es in der Stummfilmzeit am Set turbulent und laut zugegangen, so war nun Lautlosigkeit das oberste Gebot. Mit den Glashäusern verschwand die Transparenz, schalldichte Hallen schlossen jedes unkontrollierbare Geräusch aus; und Werner Richard Heymann schrieb die Musik zum ersten Ufa-Klangfilm "Melodie des Herzens". (Sicherheitshalber produzierte man parallel noch eine Stummfilmfassung.)

Zwei Jahre später trällerte die Welt Heymanns Schlager "Das gibt's nur einmal, das kommt nicht wieder, das ist zu schön, um wahr zu sein". Erik Charells Kostümoperette "Der Kongress tanzt" war der teuerste Ufa-Film der Weimarer Republik, tatsächlich tanzte man auf dem Vulkan. Obwohl in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen arbeitslos waren, blätterte die Ufa für die Berliner Premierenfeier 300 000 Reichsmark hin. Lilian Harvey und Willy Fritsch wurden zum unbestrittenen Traumpaar des deutschen Kinos, die Stars neben ihnen hießen Hans Albers, Heinz Rühmann und Renate Müller. 1932/33 drehte Gustav Ucicky "Morgenrot", ein U-Boot-Epos, in dem es um Pflichterfüllung und Heldentod ging und der Kommandant (Rudolf Forster) den Satz sprach: "Vielleicht ist der Tod das einzige Ereignis im Leben."

Der Film wurde zur Morgengabe für das NS-Regime, die Ufa zum Staatskonzern. Und fortan produzierte man in Babelsberg auf Wunsch und unter Aufsicht des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels. Revue-Filme mit Johannes Heesters und Marika Rökk, Melodramen mit Zarah Leander, Hetzfilme wie "Jud Süß", Durchhaltefilme wie "Kolberg". Der letzte Film des Dritten Reiches trug den sinnigen Titel "Das Leben geht weiter". Dann kamen die Russen, dann war Schluss.

Aber schon 1946 fing das Leben in Babelsberg wieder an. Am 4. Mai fiel die erste Klappe zu Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns", und Hildegard Knef wurde zum Star der Stunde null.

Zwei Wochen später wurde die Deutsche Film-Aktiengesellschaft (Defa) gegründet. Auch das Politbüro der SED wusste um die Macht bewegter Bilder. Viele Filme - Frank Beyers "Wolf unter Wölfen", Ulrich Plenzdorfs "Die Legende von Paul und Paula" - hatten sogar im Westen Erfolg. Andere verschwanden im Giftschrank und tauchten erst nach der Wende wieder auf: etwa Kurt Maetzigs "Das Kaninchen bin ich" oder Beyers "Spur der Steine". Ihnen bescheinigte die SED-Führung "dem Sozialismus fremde, schädliche Tendenzen". Die Stars der Defa hießen Angelica Domröse, Jutta Hoffmann, Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl. Drei von ihnen verließen die DDR lange bevor sie unterging.

Das vierte Leben der Filmstadt Babelsberg ist geprägt vom Überlebenskampf im internationalen Geschäft. Inzwischen ist man sogar eine AG, der Kurs liegt bei 1,15 Euro pro Aktie. "Wir waren schon mal bei 3,50 Euro", sagt Carl Woebcken. Fragt man ihn nach seinem Lieblingsfilm, antwortet er: "Spiel mir das Lied vom Tod". Dieses Bekenntnis passt irgendwie zum neuen unsentimentalen Führungsstil in einem Unternehmen, das sich seit 100 Jahren in der Filmgeschichte behauptet.

Gerade erschienen: "100 Years Studio Babelsberg - The Art of Filmmaking". Hg. Filmmuseum Potsdam, 264 S., ca. 250 Abb., teNeues-Verlag, 59,90 Euro. "Die Frauen von Babelsberg - Lebensbilder aus 100 Jahren Filmgeschichte". Hg. Daniela Sannwald und Christina Tilmann, 128 S., edition ebersbach, 19,80 Euro