Hamburger Musiker um Ted Gaier und Stars von der Elfenbeinküste wie Shaggy Sharoof bringen gemeinsam eine aufregende Tanz-Platte heraus.

Hamburg. Was wissen wir von Afrika, von seiner Vielfalt? Von überschäumender Lebensfreude ist häufig die Rede, wenn es um die Kultur des Kontinents geht, von farbenprächtigen Kostümen, von pulsierenden Rhythmen. Aber das fasst die kulturelle Identität von über einer Milliarde Menschen in etwa so gut zusammen wie das Bild des Deutschen, der nur Lederhose trägt.

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Jenseits von Klischees ist in Hamburg und Abidjan eine Platte entstanden, an der Musiker dieser Stadt und von der Elfenbeinküste zusammengearbeitet haben: New Black widmet sich dem derzeit populärsten Popgenre Afrikas, Couper décaler. Eine Musik- und Tanzform, die ivorische Künstler in der französischen Diaspora kreiert haben. Frei übersetzt bedeutet es so viel wie "Mist bauen, sich davonmachen". Der hoch nervöse Stil wurde auf demAlbum aber nicht bloß reproduziert, sondern neu interpretiert.

"Mein Gefühl zu den Aufnahmen war ein ähnliches wie damals, als Reggae im London der späten 70er-Jahre mit Punk in Kontakt kam und etwas Neues daraus entstand", erklärt Ted Gaier, der der Band Die Goldenen Zitronen angehört und gemeinsam mit Hamburger Kollegen wie Carsten "Erobique" Meyer, Jacques Palminger, Mense Reents und Melissa Logan an "Couper décaler électronique" beteiligt war. "Man sehnt sich ja nach neuem Zeug", sagt der Musiker und Produzent. Und Couper décaler ist mit seinem aufgeregten, rein digital zusammengeschusterten Grundbeat, dem verzerrten Vocodergesang, vielseitigen Choreografien und sehr urbanen Codes ein komplettes System, das es zu entdecken gilt.

Vor knapp zehn Jahren schufen junge Ivorer mit dieser Musik in Paris eine eigene Welt jenseits des weißen Frankreich. Die mittellosen Künstler, die sich Jet Set nannten, inszenierten sich als reiche Dandys.

"Style zu haben", nennt Gaier, der ein feines Halstuch zum Pullover mitV-Ausschnitt trägt, als erste gemeinsame Basis mit den ivorischen Musikern. Etwa mit Shaggy Sharoof, der in seiner Heimat ein Top-Ten-Sänger des Couper décaler ist. Mit Gotta Lalman, einem Tänzer und Fußballer, der mit André Hellers "Africa Africa"-Show nach Deutschland kam. Oder mit SKelly, der im Februar auf Kampnagel in der Produktion "Insistieren" zu sehen ist.

Den ivorischen Musikern begegneten die Hamburger über die Theaterarbeit mit der Regisseurin MonikaGintersdorfer, die mit dem Künstler Knut Klaßen seit 2005 in Abidjan aktiv ist. "Monikas Stücke haben einen ganz anderen Ansatz als diese 'Africa Africa'-Shows. Sie setzt auf die Idee des mündigen Schauspielers, der selbst Texte entwirft", sagt Gaier. Daher stammen viele der impulsiv skandierten Verse aus den Bühnenstoffen. In Hamburg etwa waren die Songs 2011 Teil der Kampnagel-Performance "Am Ende des Westerns".

Die Hamburger wollten Popkultur und Alltag am Ort erfahren. "Abidjan ist keine Theaterstadt. Die Leute hören Musik, gehen in Clubs. Es war wichtig, dass wir im Stadtleben integriert waren", erzählt Melissa Logan. Mit ihrem Elektro-Kollektiv Chicks on Speed mietete sie eine Straßenbühne, um mittendrin agieren zu können. "Als Gruppe haben wir einen eigenartigen Tanzstil. In Abidjan haben die Leute zuerst gesagt 'Ihr tanzt sehr schlecht', doch dann fingen sie an, unsere Art zu akzeptieren und nachzumachen", sagt Logan. Eine Kommunikation über Körpersprache, über das Zeichensystem des Tanzes.

Zum Austausch gehörte es auch, die unterschiedlichen Welten nicht nur kuschelpädagogisch verbinden zu wollen, sondern sie auch mal unverstanden koexistieren zu lassen. "Die Ivorer konnten gar nicht fassen, dass bei uns in den Discos jeder so tanzt, wie er denkt. Die halten das für Analphabetismus", erläutert Gaier. Im Couper décaler hingegen entwickeln die Tänzer immer neue Schritte und geben ihnen originelleNamen, etwa "drogbacité" als Hommage an die Bewegungskunst des Fußballers Didier Drogba.

Als die Gruppe 2011 beim Donaufestival in Krems zu Gast war, herrschte an der Elfenbeinküste Bürgerkrieg. "Durch den direkten Kontakt waren wir ganz anders damit konfrontiert", sagt Gaier. Und mit Fragen wie der, ob der Westen über Menschenrechtsprobleme in Afrika urteilen darf, während europäische Firmen dort Profite machen. "Abends waren die Ivorer alle auf Facebook und haben Fotos herumgeschickt, welche Freunde verschwunden sind und wer von der Familie in Haft genommen wurde", erzählt Logan. Diese Atmosphäre lud den eher hedonistisch orientierten Couper décaler innerhalb des Projekts politisch auf. "Es gab auch immer wieder Streit, was geht und was nicht", sagt Gaier. Ein gutes Zeichen. Wer streitet, ist sich nicht egal.

New Black: "Couper décaler électronique" ist bei Buback Tonträger erschienen. Am 1. März treten die Künstler live im Hafenklang auf. "Insistieren": 23.-25.2., Kampnagel