Erstmals zeigt ein TV-Film, wie die Sekte mit Aussteigern umgeht und die Schwierigkeiten, wieder ein normales Leben zu führen.

Hamburg. Gäbe es ein Leben, in dem sich Dinge ungeschehen machen lassen, hätte Astrid von Rönn vermutlich Kinder, ein Haus und viele Freunde. Ihr Mann Heiner hätte noch Kontakt zu seinen Söhnen aus erster Ehe. Es wäre ein Leben, in dem Scientology keine Rolle spielen würde. Die Rönns wären Ursula Caberta nicht begegnet, der Scientology-Beauftragten in der Hamburger Innenbehörde, und es würde jetzt keinen Spielfilm geben, der sich anlehnt an ihr Leben. All das ist Theorie, die Wirklichkeit sieht anders aus.

Ein Stück dieser Wirklichkeit ist das Büro von Ursula Caberta in der Admiralitätstraße, in das nur wenig Licht fällt, Ordnung scheint hier nebensächlich. Dabei ist dies ein Ort, an dem es um Klarheit geht. Leute kommen hierher, die nicht länger Teil eines Räderwerks sein wollen. Die etwas zurückgewinnen wollen, was ihnen lange verwehrt wurde: Eigenständigkeit, Individualität, persönliches Glück. "Bei Scientology steigt man nicht einfach aus wie bei einem Kegelverein", sagt Caberta. Es gehört Mut dazu und Kampfgeist und Ausdauer, wie zu einem Drogenentzug.

Über zehn Jahre ist es her, dass Astrid von Rönn beschloss, der Organisation endgültig den Rücken zu kehren und mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie ist dunkelhaarig, klein und etwas stämmig, 54 Jahre alt und sieht aus wie eine Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben steht. Man mag ihn fast nicht glauben, den Satz aus ihrem Mund: "Ich hatte den Kopf im Himmel." Heiner von Rönn sagt es nüchterner und meint dasselbe: "Ich hatte einen an der Klatsche." Zwei Ausdrücke, die harmlos klingen und das Gegenteil sind. Die viel darüber verraten, wie Scientology Menschen verändern kann: ihren Alltag, ihren Kontostand, aber vor allem ihr Fühlen und Denken.

In der ehemaligen Hamburger Scientology-Dependance am Steindamm haben sich die Rönns 1990 kennengelernt, Heiner von Rönns erste Ehe war zu diesem Zeitpunkt gescheitert. Über seine frühere Frau kam der heute 52-Jährige zu der Sekte, besuchte einen "Kommunikationskurs" und arbeitete sich hoch zum Estate-Manager - eine Mischung aus Hausmeister und Techniker. "Obermacker", sagt er und grinst. Astrid war eine sogenannte Ethik-Offizierin, eine der Ranghöheren in der Scientology-Hierarchie. Sie brachte Mitglieder, die nicht "funktionierten", wieder "auf Kurs", überwachte und bestrafte: Krankheit, Zuspätkommen - alles, was dem übergeordneten Zweck nicht diente.

Viel ist geschrieben worden über die Organisation, die seit 1997 als "neue Form des politischen Extremismus" vom Verfassungsschutz beobachtet wird und angeblich rund 6000 Mitglieder hat. Über die Lehren des Gründers L. Ron Hubbard, die Mobbing- und Gehirnwäschetaktiken und natürlich über Prominente, die sich öffentlich als Anhänger outen, allen voran Hollywoodstar Tom Cruise. Was Scientology über das Hörensagen hinaus für ein Menschenleben bedeuten kann, das wissen wohl nur wenige so gut wie die Rönns.

Kein Wunder also, dass Scientology-Gegnerin Caberta die beiden vorschlug, als der Südwestrundfunk auf der Suche war nach Aussteigern für das geplante Filmprojekt. Nein, Angst vor möglichen Konsequenzen hätten sie nicht, sagt Heiner von Rönn - und vielleicht bekomme so alles wenigstens im Nachhinein einen Sinn. "Bis nichts mehr bleibt", so der Filmtitel (ARD, 31. März, 20.15 Uhr), bringt gewissermaßen zu Ende, wofür die Rönns und Ursula Caberta viele Jahre gekämpft haben. Der Film ist eine Warnung. Ein Stück Aufklärung im Unterhaltungsgewand. Für seine Vorbilder kommt er in vielerlei Hinsicht zu spät.

Die Rönns sind verschuldet, sie leben in einer kleinen Wohnung am Hamburger Stadtrand. Wenn sie ein paar Euro übrig haben, leisten sie sich etwas zum Anziehen, einen neuen Fernseher - Dinge, die früher nicht möglich waren, weil alles Geld für Kursgebühren draufging, für Vitamine, die Gift aus dem Körper spülen sollen, und für die Internatskosten der beiden Söhne von Heiner von Rönn, die in Bjerndrup kurz hinter der deutschen Grenze in Dänemark auf eine private Scientologen-Schule gingen. Weit über 100 000 Euro hat die Organisation sie gekostet - zuzüglich der Dinge, die sich nicht in Zahlen ausdrücken lassen.

Seit vier Jahren hat das Paar keinen Kontakt mehr zu den Kindern, die mittlerweile 28 und 22 Jahre alt sind und in einer von Scientologen geführten Vertriebsfirma arbeiten. Bis vor Kurzem hat Heiner von Rönn ihnen zum Geburtstag und zu Weihnachten eine SMS geschickt - bis sie im vergangenen Jahr ihre Nummern änderten. Wenn er von ihnen spricht, sagt er immer: meine Söhne, nie ihre Namen. Den Schmerz macht das vielleicht abstrakter, aber nicht kleiner.

Heiner von Rönn reibt sich beim Erzählen mit den Händen über das müde, blasse Gesicht. Es strengt ihn an, über die Vergangenheit zu reden. Für einzelne Entscheidungen kann man sich rechtfertigen, für einen kompletten Lebensentwurf nur schwer. Zudem ist es, als spreche er in einer fremden Sprache. Mit Thetanen und OT3-Stufen können wenige Menschen etwas anfangen. Für Scientologen, auch ehemalige, sind diese Begriffe so alltäglich wie E-Mails und Internet für Berufstätige. "Die Leute mögen das nicht, wenn man in diesem Scientologen-Slang spricht", sagt Rönn, "die halten einen dann immer gleich für blöde."

Möglich, dass sich ihr soziales Umfeld auch deshalb auf eine Handvoll Menschen beschränkt. "Man weiß nicht, was die Leute nach Feierabend so machen, wem man vertrauen kann", sagt Heiner von Rönn. Nach seinem Ausstieg nahm er Kontakt zu einem früheren Bekannten aus dem Handball-Verein auf. Er solle doch mal vorbeikommen, bot der ihm an. Heiner von Rönn ist nie hingefahren - immer kam etwas dazwischen. Es ist eben nicht so leicht, aus einer fernen Parallelwelt in die Wirklichkeit zurückzukehren.

Astrid von Rönn lässt meistens ihren Mann reden, "Heiner soll das machen", sagt sie und geht dann eine Zigarette rauchen. Wenn sie schließlich doch spricht, wirkt sie konzentriert. Sie kann Jahreszahlen, Episoden und Namen besser ordnen, muss nicht um Worte ringen, wie es ihr Mann manchmal tut. Sie fühle sich "gesellschaftlich total ausgegrenzt", sagt sie: " Es läuft in dieser Gesellschaft ja so: Haste was, biste was. Nun hatten wir ja gar nichts." Auch sie versuchte Ende der 90er-Jahre alte Freundschaften wieder aufzufrischen - dann kamen die Bedenken: "Die haben bestimmt eine neues Auto, unseres ist 20 Jahre alt. Wir können nicht in Urlaub fahren. Wir haben nichts zu bieten, wir sind quasi Unterschicht." Es geht bei Scientology unter anderem darum, die "Brücke zur völligen Freiheit" hochzugehen. Die Rönns sind nie auf der anderen Seite des Ufers angekommen. Sie sind - um im Bild zu bleiben - auf offener See gekentert und müssen jetzt mühsam zurückpaddeln.

Heiner von Rönn konnte lange Zeit nicht reden über die Vergangenheit, auch mit seiner Frau nicht. Wenn das Wort Scientology fiel, bekam er im selben Augenblick Kopfschmerzen. Darüber sprechen kann er erst seit den Vorbereitungen für den Film, seit jenem Tag, an dem er zusammenbrach, weinte. "Da hat einer geschoben von hinten", sagt er. Die Kopfschmerzen sind nicht wiedergekommen, trotzdem meldet sich manchmal wie aus dem Nichts die Welt, von der er sich eigentlich für immer verabschiedet hat. Wenn er sich schneidet zum Beispiel. Scientologen fragen sich in einem solchen Fall: Was habe ich falsch gemacht? Wofür werde ich bestraft? "Man ist immer selbst für alles verantwortlich, das ist das Gemeine an Scientology", sagt Rönn. Heute weiß der Verstand, dass das Messer abgerutscht ist, das Unterbewusstsein braucht oft ein wenig länger.

Mit seinem älteren Sohn saß Rönn 2002 in einem Steakhaus beim Mittagessen. "Wenn du nicht zu Scientology zurückkommst, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben", sagte der zum Abschied. Für den jüngeren Sohn wurde der Ex-Frau 2003 das alleinige Sorgerecht vom Hamburger Familiengericht zugesprochen, danach brach auch er den Kontakt ab. Die Szene vor Gericht bildet die dramaturgische Klammer des Films, mit ihr beginnt und endet er. Sie ist Höhepunkt auf dem Bildschirm und Tiefpunkt im Leben der Rönns.

Es ist ein Ende, das härter ist, ungeschönter, als man es sonst im deutschen Fernsehen zu sehen bekommt. Das sei ihre Bedingung gewesen, bei dem Projekt mitzumachen, sagt Sektenexpertin Caberta: "Es darf nicht gut ausgehen - weil es in der Realität niemals gut ausgeht, wenn Kinder mit im Spiel sind."

Es ist nicht gut ausgegangen.