Die Werberszene kann manchmal so hohl daherkommen wie eine Seifenblase - und sich schnell in einen kleinen feuchten Fleck verwandeln. Joachim Mischke über einen Bildungsroman made in Hamburg.

Hamburg. Gumbo hat's voll drauf. Gumbo ist noch jung; noch ist er sehr schlank, noch ist er sehr hungrig. Vor allem nach Erfolg und Status. Deswegen hat der Seitenscheitel- und Brillenträger Gumbo Designermöbel in seiner Wohnung und importiertes Bier im Kühlschrank. Er trägt mehr gut geschnittene, sauteure Hemden von Helmut Lang, als sein Kontostand vertragen kann. Gumbo ist Werber, Gumbo ist hip. Gumbo ist dekadent und genervt von so ziemlich jedem. Gumbo ist Hamburger. Da ist das so.

Willkommen im Klischee, könnte man als Hamburger nach den ersten Seiten dieses Buches meinen und sich wieder vermeintlich Substanziellerem zuwenden.

Dass München am sonnigen Rand dieser fiesen Geschichte mit fast mediterraner Lässigkeit als Gegenpol daherkommt, schmerzt das Hanseatenherz. Auch das ist aber, wie alles hier, Absicht. Und deswegen lesenswert.

In seinem Roman-Erstling "Wir Maschine" schildert der Schriftsteller und Journalist Joachim Bessing eine Szene, die so hohl ist wie eine Seifenblase, und sich genauso schnell in einen kleinen feuchten Fleck verwandelt, wenn man direkt und ungeblendet hineinsticht. Gumbo ist der Held eines Bildungsromans made in Hamburg, dem kaum etwas egaler ist als klassische Bildung. Warum umsonst irgendein Buch lesen, wenn man wie er für viel Geld die neue Jil-Sander-Kampagne betreuen kann und sich darüber Gedanken machen muss, welche Art von Kunstschnee da besser ins Bild passt. Gumbo ist Baujahr 2001, aber als Typ mit Abschreckungsqualitäten womöglich noch immer aktuell. Verglichen mit Patrick Bateman, den Markenfetischisten und Serienmörder in Bret Easton Ellis' "American Psycho" ist Gumbo ein kleines Werber-Würstchen. Aber auch solches Medien-Kleinvieh macht Mist, wenn es jemand lässt.

Bessing? Da war doch was? Genau. Joachim Bessing war einer der Wortfeiler, die 1999 im Berliner Hotel Adlon mit der Zustands-Bilanz "Tristesse Royale" ein gesellschaftsbeobachtendes Feuilleton de luxe verfassen wollten. Wer damals Bessing las, las auch Kracht und Stuckrad und Illies und wähnte sich frontal am Puls des Zeitgeists. Das Markenartikler-Manifest des "popkulturellen Quintetts" hat sich erledigt und überlebt. Und auch Bessings Roman liest sich an vielen Stellen wie eine gut abgehangene Gebrauchsanweisung für hanseatische Szene-Viertel. Etliche der Schlüsselbegriffe, die der Hamburger Kreative so kennt und entweder mag oder herzhaft verachtet, bekommen ihre Statistenrolle als atmosphärische Geschmacksverstärker zugeteilt; Restaurants, Gegenden, Straßen werden in "Wir Maschine" zielsicher eingesetzt, um den Wiedererkennungseffekt bei Lokalkundigen zu intensivieren. In ist für Bessing und seine traurigen Gestalten damals gewesen, wer hier drin ist. Was aber überhaupt nicht heißt, dass dieses Buch veraltet ist. Denn Jungs wie Gumbo wachsen in der Generation Praktikum nach wie vor schneller nach, als ein genervter Artdirector von oben herab "Sorry, aber du nicht ..." seufzen kann. Dass Bessings Scheinheld Gumbo mal mehr, mal weniger bedröhnt durch eine gestrige Marken-Welt stolpert, wird aber an einem Detail deutlich: Gumbos tragbare Musik kommt, ganz retro, aus einem Walkman. Die ersten mobilen MP3-Player, deren Statusfaktor man an den weißen Ohrhörer-Kabeln erkennt, kamen erst nach "Wir Maschine" auf den Markt.

Handlung im Sinne von Entwicklung gibt es kaum. Warum sich diese Mühe mit Charakteren machen, die am Ende nicht mehr als Abziehbilder von Typen sind. Das wäre zu viel der Ehre. Deswegen bevölkert Bessing die Werbeagentur Wildcard und ihr Umfeld konsequent mit Stereotypen: Barbara, die reiche Karriere-Lesbe, Francis, der vertuckte Chef, der Texter Alfred, der zwar den "Weißen Riesen" erfunden, aber seine besten Zeiten deutlich hinter sich hat. Die Praktikantin am Empfang ist so dumm wie jung und bestimmt auch niedlich, aber vor allem ist sie die Tochter eines reichen Anwalts, den der Chef vom Gassigehen an der Alster kennt. Ihr Berufsziel heißt heutzutage "WMM" - was mit Medien.

Was Bessings Roman so verstörend anders macht, ist aber nicht das real existierende Personal, sondern die ominöse gewalttätige Bedrohung, die sich unter anderem zu einem komischen Kauz namens Bernd verfestigt. Ein Hauch von Albtraum legt sich über die Figuren, eine Kontroll-Mechanik, die zerstörerisch zu wirken droht. Auch Gumbo entgeht diesem Schicksal nicht. Er zerbricht an der schönen Marken-Welt und ihrem Selbstbestätigungszwang, wird zum Wrack. Zum Muster ohne Wert, zum Auslaufmodell, zum Restposten. Schlimmeres kann es für einen Hipster wie Gumbo nicht geben.