Hamburg, der Hafen, die Elbe. Ein Taucher sucht Arbeit und gerät in existenzielle Konflikte - Lenz schreibt das mit kühlem Verstand auf. Armgard Seegers über einen großen Roman der Wiederaufbau-Zeit.

Hamburg. Gibt es eigentlich einen Autor, den man stärker mit Hamburg verbindet als Siegfried Lenz? Jedenfalls keinen zeitgenössischen. Lenz, gebürtiger Ostpreuße, ist nicht nur als Privatmann ganz und gar hamburgisch, auch seine literarischen Themen drehen sich meist um nordische Landschaften, die Flüsse und das Meer. Erst kürzlich sagte Siegfried Lenz: "Was Hamburg betrifft: Wenn ich die Möglichkeit hätte, woanders zu leben - und die habe ich -, ich würde immer nach Hamburg zurückkommen." Die Menschen in seinen Erzählungen sind zurückhaltend, wortkarg, bodenständig. Die Konflikte, die sie ausfechten, scheinen ewig gültig. Da geht es um Auseinandersetzungen von Vater und Sohn, Lehrer und Schüler, Mensch und Natur. Kitsch, Gefühligkeit, opernhafte Dramatik kommen in Lenz' Werk nicht vor. Seine Helden sind möglichst "normal". "Ich habe über meine Nachbarn geschrieben, habe versucht, ihre Eigenarten zu zeigen", sagt er. Eine seiner ersten großen literarischen Figuren war ein Taucher im Hamburger Hafen. Er ist der "Mann im Strom".

Der Mann ist noch nicht zu alt, um zu arbeiten. Er ist nur zu alt, um eine Arbeit zu bekommen. Denn ein Arbeitnehmer im fortgeschrittenen Alter bedeutet für den Arbeitgeber höheren Lohn, höheres Risiko, geringere Rentabilität. Der Mann muss für seinen Sohn und seine erwachsene Tochter sorgen.

Eine Mutter der Kinder gibt es nicht mehr. Die Tochter ist schwanger, von einem Taugenichts, der keine Arbeit hat und davongelaufen ist. Der Mann macht sich ein paar Jahre jünger, bekommt Arbeit und dank seiner Erfahrung, dank seines Könnens erspart er dem Arbeitgeber viel Geld. Dann allerdings wird er wegen Urkundenfälschung belangt und verliert Arbeit und Sicherheit. Keiner hilft ihm.

Ist das nicht eine hochmoderne Geschichte? Eine Erzählung aus unserem Alltag, in dem ältere Arbeitnehmer kaum noch eine Chance haben, jemals einen neuen Job zu finden, in dem Jugendwahn und Jugendausbeutung zum Normalfall gehören? In Deutschland sind nur noch 48 Prozent aller Menschen über 50 Jahre erwerbstätig.

Siegfried Lenz hat seinen Roman, "Der Mann im Strom", der davon erzählt, 1957 geschrieben. Dass Erfahrung nicht gefragt ist, Alte ausgemustert werden, obwohl sie viel können, ist noch immer aktuell. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man zum alten Eisen geworfen wird", lässt Lenz seinen Helden zu dessen Sohn sagen, "Sie sind alle sehr höflich zu dir. Sie behandeln dich, wenn du hinkommst, sehr eilig, und sie sagen auch nicht gleich, was los ist." Und ein wenig später: "Du gehst sogar weg mit dem Gedanken, dass sie nur dein Bestes wollen, wenn sie dir keine Arbeit geben, sie schicken dich weg aus lauter Güte und Rücksicht, weil sie dir die Arbeit nicht zumuten wollen, denn gerade die Arbeit als Taucher verlangt viel und macht einen fertig. Aber ich gebe es nicht auf."

Doch Siegfried Lenz geht es in diesem Roman keinesfalls nur um Sozialkritik. Sein Held räumt als Taucher gesunkene Schiffe im Hafen, Rückstände des Krieges. Er will aufräumen, klar Schiff machen, Hindernisse beseitigen. Kontrapunktisch dazu steht der junge Mann, der die Tochter des Alten geschwängert und verlassen hat, der sich verantwortungslos zeigt. Auch er ist Taucher, aber er taucht, um zu stehlen, um Unrecht zu begehen.

Mit sehr viel Sympathie für die Tugenden des Alten schildert Lenz seine Helden. Die Erzählung verläuft einfach und wortkarg, atmosphärisch genau so, wie man sich Hamburger Männer von früher vorstellt. Doch es gibt auch moderne Varianten dieses Themas. Mehrfach ist der Roman, der mit Hafen, Bismarckdenkmal und Binnenalster viel Lokalkolorit aufweist, schon verfilmt worden, zuletzt 2008 mit Jan Fedder. An keiner Stelle glaubt man da, dass die Geschichte schon 50 Jahre alt ist. Heute haben Taucher modernste Ausstattungen, damals waren sie Abenteurer, die sich in der Dunkelheit vortasten mussten, die Gefahren vorausahnen, erspüren mussten.

Mit dem Kontrast von Alt und Jung, Ehrlichkeit und krimineller Energie und der Symbolik, bei der ein Schiffswrack ebenso ausgeweidet und unbrauchbar übrig bleibt wie der alte Mann, hat Lenz ewig gültige, archaische Themen berührt. Lenz trifft realistische Details ebenso scharf wie Atmosphäre und Stimmungen. Seine Figuren leben. Für einen Schriftsteller gibt es nichts, was größere Bedeutung hätte.

Siegfried Lenz im Gespräch mit seinem Verleger Günther Berg beim "Harbour Front Literatur Festival". Es lesen Konstantin Graudus und Volker Lechtenbrink. 16.9., 20 Uhr, Hamburg Cruise Center, Am Grasbrookhafen 1, 14 Euro