Wir gehen nicht mehr mit offenen Augen durch die Welt, sondern mit Normierungen aus dem Netz, sagt Frank Schirrmacher.

Die Intelligenz stirbt: Eine Payback-Karte haben die meisten Deutschen im Portemonnaie, manche sogar deren mehrere. Man legt sie an der Kaufhauskasse vor und erhält Rabatt in Form gutgeschriebener Punkte. Diese kann man gegen Waren eintauschen. Geld gibt es nicht, man soll ja mit anderen Produkten zum Konsum angeregt werden. Der Kunde glaubt, etwas zu bekommen, wird aber noch tiefer in den Konsum verstrickt. Bekäme er Geld, könnte er meditieren, was damit zu machen wäre.

Zum Meditieren hat Frank Schirrmacher schon lange keine Zeit und Muße mehr. Nicht nur, weil er als einer der FAZ-Herausgeber viel um die Ohren hat, sondern weil es Handy, iPhone, E-Mail, Powerpoint, YouTube, Facebook, Twitter, Ebay und andere Portale gibt, die ihm klarmachen: "Meine 'Fleisch-Maschine' ist offenbar nicht mehr besonders gut." Der Autor hat genauso gierig nach diesen Möglichkeiten gegriffen wie die meisten anderen auch. Um nun zu begreifen, dass sie sein Hirn zu einem Brei zerwalzen, ihn "würdelos" machen und aus seiner natürlichen biologischen Verfasstheit herausschleudern. Schirrmacher ist süchtig, Internet und Mobiltelefonie haben ihn abhängig gemacht. Mehr noch: Er fühlt sich überfordert, ist vergesslich, verwirrt, unkontrolliert, kapituliert vor der täglichen Informationsflut und ist in Gefahr, das selbstständige Denken zu verlernen. Es ehrt ihn, dass er das als einer der Meinungsmacher im Lande bedingungslos konstatiert.

Doch Schirrmacher, das wissen wir aus seinen beiden vorherigen Büchern ("Methusalem-Komplott" und "Minimum"), spielt gern auf der Klaviatur des Düsteren, hat er erst mal schwarz gesehen. Sind wir schon so weit, dass wir von digitalen Anweisungen getrieben sind wie einst Baumwollsklaven in Mississippi von den Peitschen ihrer Aufseher? Richten sich die Daten, die wir naiv im Netz hinterlassen, gegen uns? Handeln wir "nach einem Skript, einem Programm oder Drehbuch", wie der Autor behauptet? Rauscht das Glückshormon Dopamin nur noch kraftvoll durch unseren Körper, wenn wir vor dem Bildschirm hocken? Nicht mit Freunden zusammen, nicht in der Familie, nicht in der Liebe und auch nicht beim Sex?

Ja, sagt Schirrmacher. Wir gehen nicht mit offenen Augen durch die Welt, sondern mit Normierungen aus dem Netz. Wir nutzen nicht die neuen Technologien, sie haben uns längst angekettet. Der soziale Druck zwingt uns zum E-Mail-Abruf; der Stärkere ist nicht mehr der Tüchtige, sondern jener, der am schnellsten gut informiert ist. Die Technik kränkt und verletzt uns. Und unsere Intelligenz liegt gar im Sterben, weil wir sie nicht mehr nutzen.

Es zählt nicht, was wir vor dem Tastendruck gedacht, gesagt und getan haben. Es zählt die Reichweite der verschickten Nachricht, ihre Geschwindigkeit, eben das Medium selbst. Nur so konnte es dazu kommen, dass Banker Finanzprodukte in Milliardenhöhe absetzten, die sie mit ihrer Software aufrufen können, aber selber nicht verstehen. Dass Ärzte ihre Diagnosen nicht mehr nach Erfahrung und Analyse stellen, sondern erst nachdem sie sich im Netz abgesichert haben. Dass wir ausspioniert werden, ohne es zu ahnen, und selbst, wenn wir es merken, nichts dagegen tun können.

Software-Agenten wissen, welche Musik wir hören, welche Bücher wir bevorzugen, wie wir politisch eingestellt sind, wie wir es mit dem anderen Geschlecht halten. Die totale Überwachung ist viel weiter als im Roman "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley.

Schirrmacher hat auch gefunden, was man dagegen tun könnte. Schulen und Hochschulen sollen nicht Gedanken, sondern denken lehren. Perspektivwechsel locken die Intelligenz zurück, zumindest in Maßen. Und Meditieren hilft, Selbstbesinnung. Immerhin.

Frank Schirrmacher: "Payback." Blessing, 240 S., 17,95 Euro