Ein Besuch beim Frankfurter Museumsdirektor Max Hollein zeigt, was Museen trotz Krise leisten - und was Hamburg daraus lernen könnte.

Frankfurt. "Playboy", das verstehen die Leute sofort. Einer der Bild-Erklärer steht mit einer Touristengruppe vor einer Version von Botticellis berühmter Venus und erinnert an die Damen mit den Deko-Hasenöhrchen. Im Obergeschoss der Ausstellung verharren Dutzende von Besuchern staunend vor einer Vierergruppe von Bildern, die sie so nie wieder zu sehen bekommen: "Leben und Wundertaten des heiligen Zenobius", ansonsten auf London, New York und Dresden verteilt. Jetzt sind sie im Frankfurter Städel, in der ersten großen Botticelli-Ausstellung auf deutschem Boden. Schätze aus den Uffizien in Florenz, die normalerweise nie auf Reisen gelassen werden, dazu Meisterwerke aus Privatsammlungen. Das Wort Sensation ist nicht übertrieben für den Coup, der hier bis zum 28. Februar zu bestaunen ist.

Aus aktueller Hamburger Sicht hat der Besuch in diesem Museum etwas von einem Spaziergang durch eine andere, sehr heile, gut gepolsterte Kunst-Welt. Man soll Äpfel und Birnen zwar ebenso wenig vergleichen wie Museumsstrukturen, aber dennoch: Die Hamburger Museumsstiftungen kämpfen mehr oder weniger vergeblich gegen eine nicht durchfinanzierte Reform. Man kann sich je nach Charakterstärke aussuchen, welche Defizitzahl aus der Gerüchteküche man glauben möchte. Akute Befürchtungen gehen in die Millionen. Die Verantwortlichen bangen, dementieren und schweigen. Die Kunsthalle, um nur ein Beispiel zu nennen, hatte 2008 mit 464 000 Besuchern 51 000 weniger als 2007. Blockbuster-Schauen wie die über C. D. Friedrich oder Rothko, die überregional Publikum anzogen, sind nicht in Sicht, derzeit werden monatelang "Hamburger Ansichten" gezeigt. Bei seinem letzten Interview im Mai 2008 beklagte Kunsthallen-Chef Hubertus Gaßner, er habe kein Geld, um geschenkte Bilder einzurahmen. Seitdem: Funkstille. Abtauchen. Durchhangeln. "Wir müssen die Nerven bewahren", hieß es dort kürzlich.

Das Städel andererseits verbuchte im selben Zeitraum eine 15-Prozent-Steigerung (2007: 273 000, 2008: 314 000 Besucher) und hofft für 2009 auf weitere Zuwächse. Wegen der Wirtschaftskrise sei nichts in der Planung weggebrochen, sagt der dortige Chef. Die Hamburger Kunsthalle hat weder Ausstellungs- noch Ankaufetat. Es gibt ohnehin kein Stiftungskapital für die Museumsstiftungen, unvergessen und unwidersprochen ist die Formulierung des früheren Kunsthallen-Geschäftsführers Kistenmacher, die Museen seien die "scheinselbstständigen Sparschweine der Kulturbehörde".

Das Frankfurter Erfolgsgeheimnis ist keins. Es heißt Max Hollein, wurde in Wien als Sohn des Architekten Hans Hollein geboren, hat BWL und Kunstgeschichte studiert, im New Yorker Guggenheim Museum gelernt und wurde vom Banker Hilmar "Peanuts" Kopper so beschrieben: "Er hat einen Sinn für Soll und Haben." Mit einem Satz: Eigentlich müsste Hollein auch noch übers Wasser wandeln können. Hollein, 40 Jahre jung, wienerisch wortgewandt, ist Herr gleich dreier Häuser, er leitet seit 2001 das Städel, seit 2006 auch die Schirn und das Liebighaus. Wenn es in Deutschland einen Museumschef gibt, auf den die Branche mit einer Mischung aus Neid, Annerkennung und Skepsis schaut, dann ist er es.

Von Hollein hört man zum Thema Kulturpolitik nur Gutes: "Seit ich hier bin, hat sich die Stadt an alles gehalten, was wir vereinbart haben, und alles getan, was im Bereich ihrer Möglichkeiten ist. Dass das nicht eine Vollfinanzierung ist, ist keine Frage, und das ist auch allen bewusst. Aber sie sind eindrucksvoll dabei. Wenn dann privates Geld dazukommt, sieht die Stadt, dass dadurch etwas viel Größeres, noch weiter Ausstrahlendes entsteht und dass das richtig investiertes Geld ist." Frankfurt investiert jährlich 400 000 Euro für Ausstellungen im Städel. "Das ist für das gesamte Programm nicht ausreichend", so Holleins Kommentar, "dennoch rechne ich es der Stadt sehr hoch an. Um dieses umsetzen zu können, müssen wir sehr stark Drittmittel akquirieren." Was prima klappt. Dank Frankfurter Bürger und Banker hat er über eine Million Euro jährlich für den Ankauf aktueller Kunst.

Krise? Welche Krise? Hier in Mainhattan, wo Banken traditionell gern Kunstverbundenheit demonstrieren, um das Image zu polieren, scheint das alles noch sehr relativ. "Bankenkrise und wirtschaftliche Situation haben sich auf uns nicht vehement ausgewirkt", sagt Hollein und klingt sehr entspannt dabei. "Die größten Auswirkungen werden Sie wahrscheinlich erst in den nächsten Jahren spüren. Was jetzt schon ganz schwierig ist: Unternehmen, die bisher noch nicht im Kulturbereich tätig waren, dafür zu interessieren."

Neben Holleins Büro graben sich Baumaschinen in die Erde; dort entsteht für 30 Millionen Euro ein unterirdischer Erweiterungsbau, zehn Millionen kostet die Sanierung des Altbaus. Noch fehlen acht bis zehn Millionen Euro. Nichts, was Hollein ernsthafte Sorgen zu machen scheint.

Zu Hamburg verkneift er sich jeden Kommentar, der über ein kollegial freundliches "Ich habe den Eindruck, dass großes Potenzial und Engagement vorhanden sind" hinausginge. Dennoch wird man schlau aus dem, was er nicht sagt, ebenso aus der Beschreibung seines Selbstverständnisses: "Ich sehe es als meine vordringliche Aufgabe, Möglichkeiten zu eröffnen. Je mehr Sie nach außen kommunizieren, 'bitte unterstützen Sie uns', und Forderungen formulieren, desto stärker wird Ihre Rolle in der Gesellschaft hinterfragt. Diese Fragen müssen Sie beantworten, mit Aktivitäten und Strategien." An beidem herrscht hier kein Mangel. Gerade startete die nächste prestigeträchtige Schau, mit Werken des 60er-Jahre-Serienkünstlers Peter Roehr.

Rund 40 Prozent seiner Zeit, schätzt Hollein, gingen fürs Geldauftreiben auf. Macht nichts, macht er gern. "Sie werden mich nie lamentieren hören", erklärt er, "es gibt immer auch Gewinner in Situationen wie diesen. Natürlich wird man die Gesellschaft immer stärker in die Verantwortung nehmen, und die Gesellschaft wird immer mehr zurückfragen: Was ist das, was ihr macht, wie wichtig ist das für uns? Diese Fragen muss man beantworten können." Eine interessante Antwort hat er sofort parat: "Dass es jetzt wirtschaftlich schwierig ist, bedeutet in keinster Weise das Ende von kulturellen Aktivitäten und Möglichkeiten. Das New Yorker Museum of Modern Art wurde 1929 gegründet, in einer Zeit schwärzester Rezession. Eine Gesellschaft sollte sich in solchen Zeiten nicht der Verantwortung entziehen, etwas für die nächste Generation zu tun."

Für Hollein ist Masse jedenfalls nicht gleichbedeutend mit Klasse. Besuchermaximierung auf Rekord komm raus ist nicht sein Ding, Druckgrafiken von Toulouse-Lautrec, das Gold von irgendwem oder Monet bis Picasso, das sollen andere machen. Da wird Hollein grundsätzlich: "Das Museum als solches hat sich gewandelt. Es übt Bildungs- und Vermittlungsfunktionen aus, die weit über den physischen Perimeter des Hauses hinausgehen. So wird etwa der eklatant fehlende Unterricht im Bereich bildnerische Erziehung mittlerweile teilweise von uns ausgeführt: Wir kooperieren mit Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Wir haben Mitarbeiter, die arbeiten nicht nur im Museum, sondern in Kitas, Schulen, Volkshochschulen, Krankenhäusern und Seniorenheimen. Für mich ist Museum auch ganz woanders."

Jetzt ist es erst mal hier. Denn der nächste Termin in Holleins Kalender stapft durch den Flur: die komplette CDU-Rathausfraktion mitsamt Kulturdezernent auf Hausbesuch. Alle stolz wie Bolle in den gelben Gummistiefeln, die das Wahrzeichen der Neubau-Kampagne sind. Einer der Abgeordneten grinst und fragt den Besuch von der Elbe: "Wann gab's das letzte Mal so einen Politikerbesuch in einem Hamburger Museum?"

Tja. Gute Frage.